In Gottes Namen
Opfer?«
»Richtig. Und wir wollen nicht zwei Monate darauf warten, Ricki. Erzähl ihnen, was du willst. Erwähne meinetwegen den Commander. Hauptsache, die Angelegenheit hat absolute Priorität.«
Unten im Bootshaus betätigt Gwendolyn eine große Kurbel, die auf dem Boot befestigt ist. Ich biete ihr meine Hilfe an, aber sie lehnt dankend ab. Sie scheint diese Art von Anstrengung gewohnt zu sein. Als das Boot endlich zu Wasser gelassen ist, schaut sie mich an, als gebe sie mir eine letzte Chance, einen Rückzieher zu machen. Vermutlich hat sie meinen Gesichtsausdruck bemerkt. »Sie mögen kein Wasser?«
Auch Shelly mustert mich neugierig und verkneift sich dabei ein Lächeln. Sie weiß ziemlich genau, dass ich ein kleineres Problem mit Wasser habe. Das kleinere Problem besteht darin, dass ich nicht schwimmen kann. Meine Arme und Beine bewegen sich zwar wie vorgeschrieben, trotzdem versinke ich jedes Mal wie ein Stein. Aber nötigenfalls würde ich sogar mit dem Gleitschirm über die Anden fliegen, wenn ich dadurch Gwendolyns Zunge lockern könnte.
Sie startet den Motor, während wir ins Boot steigen. Eigentlich ist es weniger ein Boot, als vielmehr ein langes, flaches Sonnendeck, das ringsum von einer Reling aus weißem Leder umgeben und mit lederbezogenen Sitzbänken sowie einer Steuerungseinheit ausgestattet ist. Dieses Deck ruht auf etwas, das mich an zwei riesige Skier erinnert. Das Ganze wirkt wie ein gigantischer Wasserschlitten.
»Ein Ponton«, erklärt sie, während sie das Ding rückwärts aus dem Bootshäuschen manövriert. »Sie sind also der Mann, der Burgos angeklagt hat«, sagt sie. »Und jetzt sind Sie Harlands Anwalt.«
Dass sie das so direkt miteinander in Verbindung bringt, bereitet mir ein gewisses Unbehagen. Ganz ähnlich hat es auch Evelyn Pendry formuliert. »Ja, das bin ich. Es geht ihm übrigens gut«, füge ich hinzu, obwohl sie nicht danach gefragt hat.
»Daran habe ich keine Zweifel«, murmelt sie. Sie lässt den Ponton über den See schießen, was durchaus angenehm ist, da der Fahrtwind die stechende Hitze abmildert. Wir fahren hinaus auf den riesigen See, bis sie das Boot stoppt. Ich befürchte, dass nun der Wellengang stärker spürbar wird, aber offensichtlich ist einer der Vorteile eines Pontons eine stabile Wasserlage. Ringsum an den Ufern stehen Hütten und kleine Bootshäuser, Kinder hüpfen von den Stegen und spielen auf großen Wasserrutschen. Man hört die Rufe von Wasserskifahrern und Windsurfern und das Brummen von Motorbooten von weither über den See hallen.
Gwendolyns Reaktion bestätigt so ziemlich Harlands Bild von ihr. Als wir im Fall Burgos ermittelten, fiel ein- oder zweimal Gwendolyns Name, weil so wenig andere Menschen Näheres über Cassie wussten. Nach allem, was wir über sie erfuhren, schien Gwendolyn das krasse Gegenteil von Cassie – Gwen war das verwöhnte, zickige Partygirl, Cassie unschuldig und scheu. Allerdings bin ich ihr nie persönlich begegnet, da sie sich immer außer Landes aufhielt.
Ungeachtet dessen kann ich bisher nichts Bösartiges oder Verdorbenes an dieser Frau wahrnehmen. Die Zeit hat offenbar Wunder gewirkt.
»Sie besitzen ein Lokal?«, frage ich.
Sie lächelt sanft. »Viele kleinere Läden und Lokale hier in der Gegend müssen schließen. Es liegt mir sehr am Herzen, dass es einen Ort gibt, wo sich die Leute aus der Umgebung treffen können.« Sie nickt und hängt einen Moment lang ihren Gedanken nach.
Ich beschließe, es langsam anzugehen. Gwendolyns Gesicht nimmt einen friedlichen Ausdruck an, während die Sonne ihr das Gesicht wärmt. Das hier ist ganz offensichtlich ihr persönlicher Zufluchtsort.
Sie bietet mir einen Drink aus der Kühlbox an, den ich dankend ablehne. Dann lässt sie sich mir gegenüber auf der Sitzbank nieder. Shelly sitzt neben mir und schweigt. Sie rollt sich die Ärmel und Hosenbeine hoch und schließt die Augen vor der Sonne. Sie macht es genau richtig. Es soll eine entspannte Unterhaltung werden, und eine Situation zwei-gegen-einen macht Menschen immer leicht nervös. Also wird sie einfach nur zuhören.
Die Brise weht den Duft von Gwendolyns Kokosnuss-Sonnenmilch zu mir herüber. Sie hat einen hellen russischen Teint und macht offensichtlich häufig von der Lotion Gebrauch, denn ihre Haut ist dunkelrosa.
Ohne den geringsten Schatten steigt die Temperatur fast ins Unerträgliche. Ich ziehe mein Jackett aus, rolle die Ärmel hoch und erwäge, ob ich auf das Angebot mit dem Drink zurückkommen
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