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In Gottes Namen

Titel: In Gottes Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ellis
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soll.
    »Mir gefällt es hier«, erklärt sie. »Die Menschen sind ungekünstelt und nehmen kein Blatt vor den Mund.«
    Ich werfe einen Blick in meinen Aktenkoffer und stelle fest, dass ich weder Stift noch Papier dabei habe. Meine Mitarbeiter notieren normalerweise alles für mich, und im Gericht hält ein Protokollant jedes Wort fest. Aber Notizblöcke und Tonbandgeräte lähmen ohnehin die Gesprächsbereitschaft. Also lege ich stattdessen meine Arme auf die Rückenpolster, lehne meinen Kopf gegen die Reling und schließe die Augen. Hier draußen könnte ich sofort einschlafen. Stundenlang könnte ich schlafen.
    »Wenn man Geld hat«, sagt sie, »muss man sich über nichts groß Gedanken machen. Alles erscheint verfügbar. Nichts liegt außer Reichweite. Also fordert man immer mehr und mehr und hofft, damit irgendwann an eine Grenze zu stoßen. Aber es gibt keine – und so geht man weiter und weiter -, bis einem irgendwann alles über den Kopf wächst.«
    »Und Ihnen ist es über den Kopf gewachsen«, sage ich. Eine Welle bringt das Boot leicht zum Schwanken.
    »Richtig. Ich habe getrunken, Drogen genommen und völlig wahllos Sex gehabt.«
    Höflich lausche ich der Lebensbeichte eines reichen Mädchens, das von Party zu Party jettete, kreuz und quer durch Europa, und im Grunde doch nur einsam war und geliebt sein wollte.
    »Was ist mit Cassie?«, frage ich schließlich und überlege kurz, ob es richtig war, sie zu unterbrechen.
    »Cassie.« Gwendolin lässt sich in die Polster zurücksinken und starrt auf die Mineralwasserflasche in ihrer Hand. »Cassie hatte ein großes Herz. Sie war ein großzügiger Mensch. Aber sie hatte keine Ahnung, was sie mit ihrem Leben anstellen sollte. Sie wusste nicht, ob sie bei allen beliebt sein wollte oder ehrlich und aufrecht, oder was auch immer.« Gwendolyn beißt sich auf die Unterlippe, und ihr Gesicht wird dunkelrot. »Sie hatte Todesangst.«
    »Ich versuche rauszufinden, was damals in Cassies Leben vor sich ging, Gwendolyn. Dazu brauche ich Ihre Hilfe.«
    Sie schüttelt langsam den Kopf. »Eigentlich dachte ich, Sie kennen sich mit Cassies Leben besser aus als jeder andere.«
    »Wie Sie sich erinnern werden, wurde Cassies Fall nicht vor Gericht verhandelt. Daher haben wir nie gründlich …« Ich halte inne, als ich Gwendolyns Ausdruck bemerke. »Sie wissen doch sicher, dass Cassies Fall nicht zur Verhandlung kam, oder?«
    Sie zuckt mit den Achseln.
    Wusste sie tatsächlich nicht davon?
    »Warum wurde der Mord an Cassie nicht verhandelt? Das verstehe ich nicht.«
    Ich erläutere ihr in wenigen Worten unsere Strategie, einen Mord gewissermaßen in der Hinterhand zu behalten, falls Burgos’ Verteidigung erfolgreich war, und wir ihn ein zweites Mal vor Gericht bringen mussten. Die juristischen Details scheinen sie allerdings herzlich wenig zu interessieren, und mir ist immer noch unbegreiflich, wie wenig sie damals von der ganzen Sache mitbekommen hat.
    »Wo waren Sie, während all das geschah?«, frage ich. »Wir haben versucht, Sie zu erreichen.«
    Erneutes Achselzucken. »Davon habe ich nichts gemerkt.« »Wo waren Sie?«
    »Ich könnte so ziemlich überall gewesen sein. Zu der Zeit war es mir ziemlich gleichgültig, wo ich mich herumtrieb. Für mich sah alles gleich aus.«
    Ich seufze. Es ist, als versuchte man, Sonnenstrahlen mit den Händen zu greifen. Am liebsten würde ich diese Frau auf die Couch eines Psychiaters zerren und anschließend in den Zeugenstand. Aber ich habe keinerlei Handhabe. Sie könnte mir den Vogel zeigen. Oder sie könne mich vom Boot stoßen, und ich würde ertrinken.
    »Vielleicht an der Riviera«, sagt sie. »Oder in der Karibik.«
    »Anders herum gefragt – vor Cassies Mord, wann waren Sie da das letzte Mal in der Stadt?«
    Sie hebt ratlos die Hände. »Vielleicht einen Monat vorher. Aber wenn Sie sagen würden, es waren drei Monate, würde ich Ihnen sofort glauben. Und falls Sie sagen, es waren drei Tage, würde ich Ihnen das ebenfalls glauben.«
    »Drei Tage?« Die Skepsis in meiner Stimme ist nicht zu überhören. »Haben Sie denn überhaupt kein Gefühl dafür, wie viel Zeit zwischen Ihrer letzten Begegnung mit Cassie und der Nachricht von ihrem Tod vergangen ist?«
    »Oh, das ist eine ganz andere Frage.« Sie schiebt sich eine Locke aus der Stirn, die ihr der Wind sofort wieder vor die Augen bläst. »Davon habe ich erst viel später erfahren. Monate später. Sie werden das vielleicht nicht verstehen«, fügt sie angesichts meiner Miene

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