In guten wie in toten Tagen
Schülern war er sehr beliebt.«
»Vor allem bei den Schülerinnen.«
Ein prüfender Blick. »Was meinen Sie damit?«
»Das wissen Sie doch«, sagte Cara und erzählte ihr von Helenas Hen-Night, von Mays Enthüllungen und Ronjas Geständnis. »Und ich nehme mal an, dass die beiden nicht die Einzigen waren. Es gab bestimmt noch andere, die Tom verführt hat. Und eine von ihnen hat ihn ermordet.«
»Glauben Sie.«
»Sie waren auch mal mit ihm zusammen, oder?«, sagte Cara.
Frau Ehlers lachte. »Wer erzählt das denn?«
»Das spielt doch keine Rolle. Stimmt es?«
»Nein. Tom und ich kennen uns schon seit dem Studium. Wir waren immer gute Freunde. Aber wir hatten nie was miteinander.« Sie lachte wieder, als wäre das ein vollkommen absurder Gedanke.
»Sven Seidelmann hat auch mit Ihnen studiert.«
»Genau. Wir drei hingen an der Uni eigentlich immer zusammen. Er und Tom haben ja dann zusammen am Anne-Frank angefangen. Und ich bin jetzt hier.«
»Wie fanden Sie ihn?«
»Wen? Sven?«
»Tom natürlich.«
»Wir waren Freunde, wie schon gesagt. Wirklich gute Freunde …« Sie verstummte, verzog das Gesicht und massierte sich den Nacken. »Na ja, warum soll ich’s nicht erzählen. Tom ist … war ein supernetter Kerl. Aber ganz anders, als er nach außen hin wirkte. Viel unsicherer. Er hat viel zu viel darauf gegeben, was andere von ihm dachten. Wenn man ihn lobte, war er obenauf, aber mit Kritik konnte er nicht umgehen. Er hat sich durchs Studium gequält, weil er sich selbst überhaupt nicht einschätzen konnte. Seine Arbeiten hat er immer viel zu spät abgegeben. Und diese schreckliche Prüfungsangst – ein Wunder, dass er das Studium überhaupt abgeschlossen hat.«
»Das ist doch nicht wahr. Tom Schenker war unsicher? Ist das Ihr Ernst?«
»Hätte man nicht gedacht, oder?« Frau Ehlers seufzte. »Er wirkte so souverän. Cool. Aber in Wirklichkeit – kein Selbstbewusstsein. Das wusste aber kaum jemand. Sven und ich. Vielleicht war’s das schon.«
»Und Helena. Oder etwa nicht?«
»Helena auch. Natürlich.« Jetzt erhob sich Frau Ehlers, sie ging zum Fenster, stützte ihre Arme aufs Fensterbrett und schaute hinaus. »Ich mag Ihre Schwester. Aber ich hab mich gewundert, dass Tom mit ihr zusammen war. Sie war überhaupt nicht sein Typ.«
»Nein? Warum denn nicht?«
»Er stand eher auf …«
»Kleine Mädchen?«, fragte Cara.
»Ach Quatsch. Aber starke, selbstbewusste Frauen wie Helena haben ihn nur noch mehr verunsichert. Er mochte es, angehimmelt zu werden. Frauen, die zu ihm aufblickten, die ihn bewunderten.«
Wie Ronja, dachte Cara.
»Haben Sie gewusst, dass er ständig was mit Schülerinnen hatte?«
»Ständig ist übertrieben. Die Geschichte mit dieser Ronja hat er mir gebeichtet. Ihm ist viel zu spät klar geworden, was er da angerichtet hat. Da hatte er sich schon von ihr getrennt, da war sie schon magersüchtig. Tom hat sich furchtbare Vorwürfe gemacht.«
»Zu Recht.«
Frau Ehlers starrte immer noch aus dem Fenster, sodass Cara ihr Gesicht nicht sehen konnte. »Es hört sich blöd an, aber das wollte er wirklich nicht. Er hat sich in Ronja verliebt. Und nach einer Weile hat er festgestellt, dass das unmöglich war, dass das überhaupt nicht ging. Da hat er die Sache beendet und dann … Na, Sie wissen ja, wie es weiterging.«
»Er hat aber nicht aufgehört, mit Schülerinnen rumzumachen. Zuerst hat er mit May geschlafen. Und die Beziehung zu Helena hat auch auf einer Studienfahrt begonnen.«
»Von dieser May weiß ich nichts. Und Helena – zumindest hat er nicht den gleichen Fehler gemacht wie bei Ronja. Sie haben keine Affäre angefangen, solange Helena noch auf der Schule war.«
»Sie finden sein Verhalten also grundsätzlich in Ordnung?«, fragte Cara wütend. »Dass er sich immer schwache Frauen rausgesucht und sie manipuliert hat und so?«
»Nein«, sagte Frau Ehlers und drehte sich dabei wieder zu ihr. »Wenn es wirklich so war, dann finde ich das ganz und gar nicht in Ordnung. Aber Tom war für mich …« Sie brach ab und überlegte eine Weile. »Ich habe mich immer verantwortlich für ihn gefühlt. Obwohl er drei Jahre älter war als ich. Und er wurde ermordet. Ich würde mal sagen, das ist doch schlimm genug.« Sie lächelte traurig. »Ich mache mir Vorwürfe. Dass ich mich nicht mehr um ihn gekümmert habe. Dass ich nicht auf ihn aufgepasst habe.«
Cara nickte. Das Gefühl war ihr allzu vertraut.
»Sie gehen doch auch davon aus, dass ihn eine der Frauen ermordet hat.
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