In guten wie in toten Tagen
Treppengeländer, an dem sie sich festhalten konnte.
»Du bist doch verrückt«, sagte Frau von der Stein feindselig. »So langsam frage ich mich, ob deine Schwester nicht doch …«
»Stopp«, sagte Cara drohend. »Ich will nicht wissen, was Sie denken und was Sie sich fragen. Ich will mit Isy reden und zwar sofort.«
Isys Mutter presste ihre Lippen aufeinander. Ihr Gesicht wirkte auf einmal nicht mehr jugendlich, sondern war hart und grau wie Beton. Aber Cara ließ sich davon nicht täuschen. Der Beton hatte Risse und Frau von der Stein hatte Angst.
»Sie können es sich aussuchen«, sagte Cara leise. »Entweder Sie bringen mich jetzt zu Isy und sie erzählt mir ihre Version der Geschichte. Oder ich verschwinde und kreuze in einer halben Stunde in der Praxis von diesem Frauenarzt auf. Mit den Bullen im Schlepptau. Und dann können Sie nichts mehr vertuschen, dann kommt alles ans Licht.«
Der Beton bröckelte. Und brach.
Frau von der Stein trat einen Schritt zurück. »Also gut. Komm rein.«
Diesmal führte sie Cara nicht ins Wohnzimmer, sondern brachte sie durch den Flur zum Hinterausgang. »Isy wohnt zurzeit im Gästehaus«, murmelte sie, ohne Cara dabei anzusehen. »Es geht ihr nicht gut.«
Helena geht es auch nicht gut, dachte Cara, aber sie sprach den Gedanken nicht aus.
»Bitte, Cara.« An der Tür zum Garten blieb Frau von der Stein stehen. In ihrer Schläfe pochte eine Ader. Im Sonnenlicht wirkte ihre gebräunte Haut dünn wie Papier. »Isy hat mit dem Mord an Tom nichts zu tun. Es ist ein reiner Zufall, dass das Ganze passiert ist, während sie hier war. Das musst du mir glauben.«
Cara starrte sie schweigend an. Frau von der Stein starrte zurück. Ihr Blick war zuerst drohend, dann wirkte er nur noch flehend.
»Gehen wir«, sagte Cara.
Der Garten war fast so groß wie der Stadtpark, aber um einiges gepflegter. Beete mit blühendem Lavendel und Rosenbüschen säumten den Weg. Rosenblüten so groß wie Kohlrabi. Cara hätte ihre Hand dafür ins Feuer gelegt, dass es nicht Frau von der Stein war, die hier den Rasen mähte und Unkraut zupfte. Dafür gab es bestimmt einen Gärtner, dachte sie und prompt fiel ihr Vitali wieder ein, der immer noch im Lieferwagen vor der Tür hockte.
»Moment mal.« Sie zerrte ihr Handy aus der Tasche und rief ihn an. »Es dauert noch eine Weile«, teilte sie ihm mit. »Fahr schon mal los. Ich ruf dich an, wenn ich hier fertig bin.«
Bevor er etwas entgegnen konnte, legte sie auf.
Sie gingen an einem Swimmingpool vorbei, in dem türkises Wasser glitzerte. Helena hatte hier schwimmen gelernt. Aber Cara nicht, obwohl sie Helena immer angefleht hatte, sie mitzunehmen. Nur ein einziges Mal, bitte, Helena! Helena hatte sich jedoch nie erweichen lassen. Nee, dann müssen wir die ganze Zeit auf dich aufpassen, dass du nicht ertrinkst, hatte sie gesagt. Und war allein gegangen und hatte den ganzen Nachmittag mit Isy im Pool geplanscht und getobt und gekreischt und eine Menge Spaß gehabt. Cara war fast sieben gewesen, bis sie endlich schwimmen konnte.
Hinter dem Schwimmbecken rekelte sich ein Bungalow in der Sonne.
An der Tür gab es eine Klingel, aber anstatt zu läuten, klopfte Frau von der Stein an. »Isy? Besuch!«
Keine Reaktion.
»Sie schläft vielleicht«, flüsterte Isys Mutter und nun war ihr Gesicht nicht mehr betonglatt und hart, sondern nur noch grau und müde. Aber Cara hatte kein Mitleid. Cara dachte an Helena, die hier schwimmen gelernt hatte, die hier ein und aus gegangen war, die für Frau von der Stein fast wie eine Tochter gewesen war, jedenfalls hatte sie das immer behauptet, wenn Cara und Frau Fliedner Helena abgeholt hatten. Sie ist mir so ans Herz gewachsen, hatte sie gesagt.
Und nun saß Helena im Gefängnis, aber das ließ Frau von der Stein vollkommen kalt.
»Was ist denn eigentlich los mit Isy? Ist sie krank?«
Frau von der Stein nickte und schüttelte gleich darauf den Kopf und wollte etwas erklären, aber nun ging die Tür auf. Und Isy stand vor ihnen, im Bademantel, mit total zerwühltem Haar, und starrte sie an, als wüchsen ihnen jeweils drei Köpfe aus dem Hals.
»Was soll das denn?«, fragte sie.
»Cara hat dich gesehen«, sagte ihre Mutter. »Bei Onkel Thomas.«
»Ja, und jetzt?«, fragte Isy.
Ihre Mutter fingerte nervös an ihrer Perlenkette und schwieg.
»Hat Helena ihr Gedächtnis wieder?«, fragte Isy Cara.
»Ich will wissen, was in der Nacht los war, in der Tom ermordet wurde«, sagte Cara. »Und alles andere auch. Wenn
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