In guten wie in toten Tagen
erstickte. Ihr Vater ging einfach weg und ließ sie sterben.
Sie sah Helenas erschrockenes Gesicht und ihre Mutter, ihre Münder gingen auf und zu, sie redeten auf Cara ein, aber was sie sagten, verstand sie nicht. Sie legte die Arme auf den Tisch, legte den Kopf auf die Arme, atmete tief und starb langsam.
Und dann kam ihr Vater zurück und gab ihr eine Plastiktüte. »Halt sie dir vors Gesicht«, sagte er. »Du musst in die Tüte atmen, dann geht es dir sofort besser.«
Sie wollte seine Hand wegschieben, das war typisch, sie hatte eine Herzattacke und ihr Vater nahm es gar nicht ernst. Aber ihr fehlte die Kraft dazu, also nahm sie die Tüte und presste sie vor Mund und Nase.
Und es wirkte.
Nach ein paar Minuten löste sich der Druck, beruhigte sich ihr Herz. Ging es ihr wieder besser. Sie wischte sich mit einer Serviette den Schweiß vom Gesicht und war erleichtert, dass es vorbei war. Bis zum nächsten Mal.
»Die Aufregung«, sagte ihr Vater. »Das ist ja kein Wunder.«
»Du kannst einem richtig Angst machen, Cara«, sagte Helena.
»Das sagt die Richtige«, meinte Cara.
»Geht’s wieder?«, fragte ihr Vater. Und lächelte Cara an, aber Cara lächelte nicht zurück.
Vitali tat ihr leid. Er war so verliebt in sie. Und musste doch wissen, er musste doch einsehen, dass es aussichtslos war. Vitali und Cara. Das ging einfach nicht.
Zu Caras Erleichterung arbeiteten sie seit Anfang der Woche nicht mehr als Zweierteam. Sie fuhren jetzt jeden Morgen zusammen mit Kalle und Mirko in die Gartenanlage am Seehotel. Neuanlage von Beeten, Pflege des Altbestandes. Kalle war ein Schwätzer, der Cara normalerweise entsetzlich auf die Nerven ging, aber nun war sie ihm dankbar, dass er ohne Unterlass redete. Und die Stille füllte, die sich auf einmal zwischen ihr und Vitali ausgebreitet hatte. Aus lauter Dankbarkeit lachte sie sogar über Kalles frauenfeindliche Witze.
Sein Geschwätz verdrängte das schlechte Gewissen, das sie gegenüber Vitali hatte. Und es hielt sie wach. Ohne Kalles Gequassel wäre sie im Stehen eingeschlafen.
Sie hatte gehofft, dass ihre Albträume beendet wären, wenn Helena wieder nach Hause kam. Dass sie endlich wieder richtig schlafen könnte. Aber so war es nicht. Die Träume gingen weiter. Die Träume wurden immer schlimmer.
Es war jede Nacht dasselbe: Cara fiel in einen ohnmachtsähnlichen Schlaf, schlief zwei oder drei Stunden, dann hörte sie die Schritte auf der Treppe.
Der Fremde tat ihr nichts, er berührte sie nur sanft am Arm oder strich ihr über die Wange. Sie war dennoch Nacht für Nacht wie gelähmt vor Schreck. Schaffte es nicht zu schreien. Konnte sein Gesicht nicht erkennen.
Und wachte auf.
Danach war die Nacht für sie vorüber, bis zum Morgen fand sie keinen Schlaf mehr.
»Du siehst furchtbar aus«, sagte Vitali, als sie abends die Gartengeräte auf die Ladefläche des Lieferwagens warfen.
»Danke, sehr nett«, gab Cara zurück.
»Was ist los, Cara?«
»Nichts ist los. War ein bisschen viel in letzter Zeit, das ist alles.«
»Aber jetzt ist Helena doch wieder draußen. Jetzt ist es vorbei.«
Sie zog eine Grimasse. »Vielleicht ist die frohe Botschaft noch nicht in meinem Körper angekommen.«
»Wenn du so weitermachst, klappst du irgendwann zusammen.«
»Wird schon wieder. Unkraut verdirbt nicht.« Was redete sie denn da? Unkraut verdirbt nicht. Das war ein Lieblingsspruch ihres Vaters. Dicht gefolgt von Ein bisschen Anstrengung hat noch keinem geschadet und Geht nicht, gibt’s nicht. Cara hasste diese Floskeln. Sie waren nicht nur bescheuert, sondern auch noch falsch. Unkraut verging eben doch, wenn man eine ordentliche Ladung Moosvernichter draufkippte. Das zumindest hatte sie bei Heinrich Galabau gelernt.
»Wie geht’s deiner Schwester?«, fragte Vitali.
»Eigentlich ganz gut.«
»Wie hat sie darauf reagiert, dass Isy sie so hat hängen lassen?«
Cara zuckte mit den Schultern. »Im Moment ist Funkstille zwischen den beiden. Aber wie ich Helena kenne, wird sie Isy verzeihen. Sie ist echt unglaublich.«
»Was hat sie denn jetzt vor?«
»Sie fährt morgen zurück nach Münster.« Es machte Cara traurig, dass Helena nicht in Geldern blieb, sondern sofort wieder in ihre kleine Studentenbude zurückwollte. Jetzt, wo Tom nicht mehr am Leben war, gab es auch keinen Grund mehr für sie, ständig nach Geldern zu kommen. Wir werden uns kaum noch sehen, dachte Cara.
»Gut«, sagte Vitali und nickte zufrieden, und das ärgerte Cara.
»Ich weiß gar nicht, was du
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