In guten wie in toten Tagen
Ronja, aber bevor sie den Satz beendet hatte, schüttelte Cara schon den Kopf.
»Ich bin schon verabredet«, sagte sie und dachte: Du spinnst wohl. Du meinst doch wohl nicht im Ernst, dass ich noch irgendwas mit dir oder einer der anderen zu tun haben will. Nach allem, was geschehen ist. Ihr habt Helena doch alle aufgegeben.
Wenn ich nicht gewesen wäre, dachte Cara, wenn ich nicht weitergeforscht hätte, wenn ich Isy nicht gefunden hätte, dann säße Helena immer noch im Knast. Und wäre vielleicht sogar wegen Mordes verurteilt worden. Und keine von euch hätte ein Problem damit.
Dann zog sich ihre Brust zusammen. Sie schnappte nach Luft.
»Alles okay?«, fragte Ronja besorgt.
»Klar. Mir ist nur ein bisschen schwindlig«, brachte Cara mühsam hervor. »Ich … äh … bin dann mal weg.« Und ergriff die Flucht. Ohne Milch, ohne Brot.
Als sie draußen vor dem Supermarkt stand, wurde sie sofort wieder ruhiger. Sie ging ein Stück und setzte sich auf eine Bank in die Sonne. Neben ihr angelte ein Obdachloser im Glascontainer nach Pfandflaschen, eine Taube pickte Pommes aus einem Mülleimer. Zwei kleine Kinder spielten Fangen. Cara atmete. Schloss dann die Augen und versuchte, sich einzureden, dass alles gut war.
Und wusste es doch besser.
Sie hatte mit allen gesprochen – mit Helenas Freundinnen, Toms Nachbarin, seinen Freunden und Kollegen. Aber einem Gespräch war sie bis jetzt ausgewichen.
Bevor Sie mich oder meinen Mann verdächtigen, sollten Sie sich zuerst mal auf das nähere Umfeld konzentrieren, hatte Annika Seidelmann zu ihr gesagt. Und sie hatte recht. Wenn Cara wollte, dass die Albträume endeten, dann durfte sie jetzt nicht aufgeben. Dann musste sie den Fall lösen. Und musste mit ihrem Vater reden.
Sie fuhr mit dem nächsten Bus in die Reihenhaussiedlung am Stadtrand, wo Volker Fliedner mit seiner neuen Familie lebte. Und brauchte eine halbe Stunde, bis sie das richtige Haus fand. Es war viel kleiner und älter, als sie es sich immer vorgestellt hatte. Ein Blick auf die Uhr. Halb sechs. Wenn sie Glück hatte, war er noch nicht zu Hause.
Der Gedanke gab ihr die Kraft, die Klingel zu drücken. Dennoch raste ihr Herz, als sie im Haus Schritte hörte. Evelyn öffnete. Sie hatte zugenommen seit der letzten Taufe, ihre enge Jeans spannte an ihrem Po. Sie erkannte Cara zuerst nicht und starrte sie fragend an.
»Hallo, Evelyn«, sagte Cara. »Ist mein Vater da?«
Evelyn riss die Augen auf. »Cara! Du liebe Zeit, ja, er ist gerade nach Hause gekommen. Komm rein.«
»Du warst ja eine Ewigkeit nicht mehr hier«, sagte sie, während sie sie durch einen breiten Flur ins Wohnzimmer führte. An der Wand hingen Kinderzeichnungen und Familienfotos in bunten Rahmen. Schmutzige Gummistiefel vor der Garderobe. Aus dem Obergeschoss drangen Kinderstimmen.
Ich war noch nie hier, dachte Cara und fragte sich, ob Evelyn das wirklich nicht bewusst war oder ob sie einfach keine Lust hatte, sich mit Cara auseinanderzusetzen.
»Besuch für dich, Volker«, flötete Evelyn durch die geöffnete Wohnzimmertür. »Ich lasse euch erst mal allein«, sagte sie dann zu Cara, zwinkerte ihr aufmunternd zu und schob sie in den Raum. Und machte die Tür von außen zu. Ihre Erleichterung war deutlich spürbar.
»Cara!« Ihr Vater hatte auf dem Sofa gelegen, jetzt sprang er so schnell auf, dass sein Laptop fast auf den Boden rutschte. Im letzten Moment bekam er es zu fassen und stellte es auf den Tisch. »Ist was passiert? Ist Helena etwa …?«
»Alles okay«, sagte Cara. »Mit Helena ist alles okay.«
»Setz dich.« Er wies auf das Sofa, aber sie ließ sich in einem der Sessel nieder. Sie brauchte Abstand zu ihm, so viel wie möglich.
»Ich wollte noch einmal mit dir über Tom reden.«
»Über Tom? Was willst du denn wissen?«
»Du mochtest ihn nicht. Und er konnte dich auch nicht leiden.«
Ihr Vater setzte sich wieder aufs Sofa. Er fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die Haare. »Das stimmt doch nicht«, begann er. »Tom und ich …«
»Bitte, Papa«, sagte Cara müde. »Ich will wissen, was geschehen ist.«
»Meinst du etwa, dass ich …«
»Nein«, unterbrach sie ihn. »Bestimmt nicht. Ich will nur Bescheid wissen.«
Ihr Vater zog die Brauen zusammen. »Er war nicht gut für Helena. Die Hochzeitsvorbereitungen haben mir da echt die Augen geöffnet. Er hat ihr alles überlassen, die ganze Arbeit, alle Entscheidungen, keinen Finger hat er krummgemacht. Das hat mir nicht gefallen, ganz und gar nicht.«
»Aber
Weitere Kostenlose Bücher