In Hadam wartet der Henker
das geringste Wissen vom wirklichen Verlauf des Irrgartens hatten. Viele Hunderte waren verdurstet und verhungert, und sie hatten versucht, sich mit blutenden Fingern einen Weg aus den Totenkammern zu bahnen. Es ging tiefer hinunter und weiter im Zickzack, hin und her, unter breiten Bögen hindurch und über brückenartige Aushöhlungen im Gestein. An einigen Stellen sickerte Feuchtigkeit durch Felsspalten. Das Wasser ließ im zitternden Licht den Fels schwarz und schimmernd erscheinen. Es roch nach Moder und Salz, das an einigen Stellen in funkelnden Kristallen an den Wänden zu sehen war.
Mausoleum! dachte Hadamur und kicherte in sich hinein. Für mich, den Shallad, der die Unsterblichkeit zum Greifen nah vor sich sieht.
Er dachte nicht daran, jemals seinen Körper hier einmauern zu lassen!
Der Geruch nach frischem Mörtel, nach dem stechenden Schweiß der Arbeiter und nach saurem, billigem Wein. Undeutlich hallten Kommandos, Peitschenhiebe und Stöhnen durch die Korridore.
»Wir sind da, Herrscher!« sagte der Baumeister und ließ die Fackel über seinem Kopf kreisen, um die Flamme zu neuer Leuchtkraft anzufachen. Nach zwanzig Schritten stellten die Träger den Thronsessel ab. Ein Fingerschnippen des Shallad ließ einen Gardisten herbeirennen.
»Warten die Männer… draußen?« fragte Hadamur. Der Mann in vergoldeter Lederrüstung verbeugte sich schweigend.
»Ich sage, wenn du sie holen sollst. Alles andere?«
»Bereit, Shallad!«
Hadamur ließ sich herbei, bestätigend den Kopf zu senken. Er hob seinen Körper aus den Fellen und den großen, weichen Tüchern. Er zerrte sich hoch und stapfte mit kleinen Schritten auf den Gardisten zu. Er zwang sich weiter, durchquerte einen Durchgang und ging weiter geradeaus. Hier fing ein System von Korridoren an, die drei Ebenen tiefer blind endete, eine der vielen tödlichen Fallen des Irrgartens.
Respektvoll blieben der Baumeister, etwa hundert Sklaven und deren Aufseher, die Gardisten und die Träger zurück. Die Flammen der Öllampen flackerten. Schwer stützte sich Hadamur an der feuchten Mauer ab und sagte sich, daß ihn wohl seit langem niemand außerhalb seiner Schlafkammer gehen gesehen hatte.
Vier oder fünfmal war der Shallad nach rechts oder links abgebogen. Jetzt schleppte er sich wie ein großes, schwerfälliges Tier die dreimal sieben Stufen hinunter, die zu einem anderen Todesschacht führten.
Als er den Kopf hob und blinzelte – Schweißtropfen liefen ihm in die Augen – stöhnte er erschrocken auf.
Vor ihm stand eine kleine, bis zur Unkenntlichkeit vermummte Gestalt.
Blitzschnell erkannte der Herrscher, daß dieses Gerippe, das ihm eine magere Hand entgegenreckte und die Faust ballte, niemals ungesehen an den Arbeitern vorbeigekommen sein konnte. Dieser Korridor hatte keinen zweiten Ausgang. Magie? Ein Dämon? Ein trügerischer Spuk?
Eine hohe, verzerrte Stimme sprach ihn an. Sie war schneidend und kalt, und was sie sagte, ließ ihn erschauern.
» Ich bin Achar, der Rächer! «
»Du mußt ein Dämon sein«, knirschte Hadamur. »Niemand sonst käme hier herein.«
»Ich habe den Körper eines Sterblichen angenommen«, sagte Achar, und einen winzigen Moment lang sah Hadamur unter der verrutschenden Kapuze ein fratzenhaftes Gesicht gläsern aufblitzen.
»Was willst du von mir?«
»Nur mit dem Körper eines Sterblichen kann ich mich dir sichtbar machen. Ich komme aus der Schattenzone. Weder männlich noch weiblich bin ich, aber ich bin der Dämon der Rache.«
Hadamur, der vor Entsetzen starr dastand und eine eisige Schwäche in seinen Knien fühlte, schöpfte Hoffnung.
»Ein Dämon der Rache.«
»Du kannst mich anrufen und dich meiner Dienste versichern, wenn du Rachegelüste hast. Ich bin hier, um dir zu helfen. Ich weiß, daß du Hilfe brauchst.«
»Ich brauche nur Luxons Kopf!« murmelte der Shallad wie im Selbstgespräch.
»Ich weiß. Ich kann für dich Luxon zur Strecke bringen. Dein Kopf ist dir sicher, selbst wenn es einige Zeit dauert.«
Auf der Treppe entstanden Bewegungen. Der Shallad drehte sich verblüffend schnell um und rief:
»Zurück ihr alle! Ich will allein sein.«
Die Männer, unter ihnen der Baumeister, zogen sich augenblicklich zurück. Noch einmal schimmerte eine gläserne Schicht, die in viele Sprünge ausfaserte, unter der schwarzen Kapuze auf. Das fahle Licht der Lampen spiegelte sich in den Bruchstücken.
»Luxons… Kopf?« fragte der Shallad, und seine Hoffnung wuchs.
»Nichts anderes willst du. Seit Luxon
Weitere Kostenlose Bücher