In Hadam wartet der Henker
fragte der Shallad. Er blickte niemanden an, trotzdem erwiderten zwei Sklavinnen, ohne sich zu bewegen:
»Er wartet auf dich, Shallad.«
Nur der Baumeister und Hadamur selbst kannten alle Pläne. Die Pergamente eines jeden fertiggestellten Teiles wurden sofort verbrannt. Aber Hadamur kannte jeden Winkel, jeden Gang und jede Treppe. Wie ein Modell existierte in seinem Verstand ein genaues Abbild des Innern. Er würde von jedem Punkt im Mausoleum hinausfinden ans Tageslicht. Selbst das Labyrinth, das sich in der Tiefe der Insel befand, vierzig Mannslängen unterhalb der Wasserlinie, kannte er wie die Linien seiner Handfläche.
»Er wartet!« murmelte Hadamur.
Die Barke legte weich an und wurde mit Tauwerk an schweren Steinblöcken belegt. Sklaven schleppten Bohlen und Bretter heran und legten sie zwischen Bordwand und Kai aus. Dann kamen die Ruderer herauf, schoben die Stangen in die Löcher unterhalb des Thrones und hoben die schwere Konstruktion aus Holz, Leder und edlen Metallen keuchend hoch. Der Thron wurde über die schwankenden Planken geschleppt, an Land und über die rauhen Oberflächen der Steine, bis zum Eingang des Mausoleums. Er lag am Ende einer Treppe aus flachen, tiefen Stufen, flankiert von zwei riesigen Fabeltieren mit hochgereckten Schwingen. Die muskelstarrenden, drohend wirkenden Schimären mit gespreizten Krallen aus purem Gold trugen, stark idealisiert, die Gesichtszüge des Shallad Hadamur.
Die Sklaven vor den Knien des Shallad beugten ihre Rücken, die Thronträger hinter seinem Rücken streckten sich. Alle Tore und Gänge des riesigen Bauwerks waren breit genug, um den Thron mitsamt seinen Trägern ungehindert durchzulassen.
»Abstellen!« knurrte der Shallad. Schweiß lief über sein Gesicht. Eine Sklavin huschte heran und tupfte den Schweiß mit einem weichen Tuch ab. Direkt neben der Rampe, die im Gebäude aufwärts führte, öffnete sich ein schräger Schacht im Boden, der nach unten führte. Der heiße Brodem, erzeugt von zahlreichen Öllampen in der Tiefe der Insel, kam durch den Tunnel und staute sich in der Eingangshalle.
Der Baumeister wartete, einige Pergamentrollen und einen Meßstab in den Händen.
»Wie du befohlen hast«, sagte der Baumeister und senkte ehrfurchtsvoll den Kopf, »ist vor wenigen Stunden das Labyrinth fertiggestellt worden.«
»Dann zeige es mir«, fauchte Hadamur. »Auf!«
Die Sklaven hoben den Thron an, während der Baumeister sich eine brennende Fackel geben ließ und vor den schwitzenden Trägern die schräge Fläche abwärts lief. Auch er kannte den Weg durch das Labyrinth so genau, daß er an keiner der zahlreichen Ecken, Kanten, Durchlässe, Pforten und Barrieren auch nur seinen Schritt verhielt.
»Sind noch Maurersklaven und Gardisten am letzten Seitengang, Baumeister?« fragte Hadamur lauernd.
»Sie schließen gerade die Mauern, Herrscher«, erwiderte der Baumeister.
Die Mauern des Labyrinths bestanden teilweise aus natürlichem Fels, der mit unsäglichen Mühen ausgehöhlt worden war. An vielen Stellen ergänzten Quader, die an Ort und Stelle gemeißelt worden waren, die Mauern. So hoch, daß man sie gerade noch erreichen konnten, standen auf Mauervorsprüngen die Öllampen. Ihre rußenden Dochte verbreiteten ein gelbliches Licht, das von dem dunklen Gestein aufgesogen wurde. Diese Lampen erhellten sogar die blinden, die steinerne Öde führenden Nebenäste des monströsen steinernen Irrgartens, der sich in fünf Ebenen erstreckte, nicht nur auf einer einzigen, waagrechten Fläche. Die keuchenden Träger schleppten den Shallad treppauf, treppab, nach rechts, geradeaus und nach links, und jeden einzelnen Schritt kontrollierte Hadamur. Er war sorglos, denn der Baumeister ahnte nichts von seinem Schicksal.
»Wird es das schönste und größte Gebäude der Welt, Baumeister?« fragte Hadamur lockend. Seine Stimme hallte zwischen den steinernen Wänden wider.
»Schon jetzt übersteigt dein Totentempel, Shallad, alles, das wir kennen. Selbst in den Legenden fand ich nichts Schöneres und Prunkvolleres.«
»Recht so. Und nichts Gewaltigeres.«
Nicht einen einzigen Gedanken verschwendete der Shallad daran, daß nur zwei Männer das Geheimnis des Labyrinths kannten. An vielen Enden führten Korridore und Kammern blind tief ins Gestein hinein. Jetzt waren sie für alle Ewigkeit durch wuchtige Mauern verschlossen. Die entkräfteten Sklaven waren, während sie schliefen, hier eingemauert worden – von frisch heruntergeschafften Männern, die nicht
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