In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Moment, in dem er zu singen aufhörte, jener Moment, als er trank, und durch das Fernglas sah ich, wie sich sein Gesichtsausdruck einen Augenblick lang veränderte, wie er eine ernste, leicht gequälte Miene aufsetzte, als dächte er an etwas, an das er sich lieber nicht erinnert hätte. Gleich darauf arbeitete er wieder und sang erneut vor sich hin – und auch wenn es sich noch so sentimental anhören mag, muss ich gestehen, dass er mir leidtat. Er wirkte wie ein Kind – so unbekümmert und zugleich so fest entschlossen, nicht wieder an das zu denken, was ihm irgendwie zu schaffen machte. Als schließlich die letzte Kiste in der Hytte war, schlug er die Wagentüren zu und schloss ab, was natürlich absurd war an einem Ort wie diesem , und ich sah ihn erst etwa eine Stunde später wieder, als er ins Auto stieg und davonfuhr.
    ***
    Drei Stunden vergingen. Ich saß mit einem Stapel Bücher auf dem Treppenabsatz und hob nur gelegentlich den Blick, wenn mich eine Lichtveränderung ablenkte oder sich langsam eines der großen Kreuzfahrtschiffe heranschlich, die in die Bucht von Tromsø glitten, sich ans ferne Fjordufer hielten und lautlos vor dem dunklen, bergigen Hintergrund von Malangseidet dahinzogen. Ich wartete nicht auf Martin Crosbie, ich spionierte ihm auch nicht nach, doch schaute ich zufällig auf, als er über den Weg zur Hytte fuhr, und ich fand, es war nichts dabei, einen Blick durch das Fernglas zu werfen und zuzusehen, wie er ausstieg und aufs Neue anfing, Tüten und Kisten auszuladen, die diesmal aus dem Laden in Eidkjosen stammten. Er musste mehrmals gehen, um alles ins Haus zu schaffen: Offenbar hatte er beschlossen, seine Vorräte aufzustocken. Später, als er nicht daheim und ich interessiert genug war, mehr über ihn wissen zu wollen, sah ich nach, was er an jenem Tag gekauft und in den Schränken der Hytte verstaut hatte: Dörrware, Gläser mit Sild und eingelegter Roter Bete, Flaschen mit Kochsoßen, Großpackungen Reis und Nudeln, Dosen mit Suppe und Gemüse und in Folie eingeschweißte Packen Ringnes-Bier. Praktisches für jemanden, der ein einfaches Leben führen wollte, jene Art Lebensmittel, wie sie sich die Menschen hier oben schon seit Jahrzehnten als Vorrat anlegten, doch hatte er auch noch andere Sachen gekauft – seltsame, unwichtige Dinge, die ich damals ganz rührend fand. Eine Regionalzeitung und einen Stapel Kindercomics. Eine Schachtel Importpralinen. Eine rote Geranie im Topf – ein einsamer Farbklecks, um die Hytte ein wenig freundlicher zu gestalten. Und ich denke, er glaubte ernsthaft, dies sei genug: ein ausreichender Vorrat an Lebensmitteldosen, ein paar Leckereien, ein Haufen Bücher und CD s, eine hübsche Topfblume. Das und ein ganzer Sommer voller Frieden und Stille. Allerdings würde es nicht lange dauern, bis er sich eingestehen musste, dass er keine Ahnung gehabt hatte, wie wahre Stille ist, dass er nicht auf die wehmütigen Laute vorbereitet war, die Tag und Nacht mit dem konstanten Licht hereinsickerten. Zweifellos hatte er geglaubt, Stille sei angenehm, ein Tonikum für die Seele, ein Refugium, Zuflucht vor dem, was er zurücklassen wollte. Nur hatte er keine endlosen, von leisem Gemurmel und fernen Rufen erfüllte Weiten erwartet, die er so beiläufig betrat wie ein glückloser Mann, der in ein Haus voll Geister spaziert und nichts Ungewöhnliches bemerkt, hin und wieder aber von zufälligen Veränderungen in der Atmosphäre aufgeschreckt wird, von feinen, doch bedeutsamen Verschiebungen in der Beschaffenheit des Lichts und in der Eigenart der Hintergrundgeräusche. Es war, als hätte jemand bloß minimal den Radiosender verstellt, dem er schon ein Leben lang zuhörte, und während der nächsten Tage, in denen er sich vor der Welt zurückzog und ich versuchte, meinem Entschluss treu zu bleiben, ihn nicht weiter auszuspionieren, nahm er nach und nach andere Geräusche wahr, andere Stimmen von einem Sender, der bislang nicht einmal existiert hatte.
    Ich habe wirklich versucht, ihm in diesen nächsten Tagen nicht hinterherzuspionieren, und ich weiß nicht, warum ich meine Meinung änderte und hingegangen bin mit dem Gedanken, nur den Kopf durch die Tür strecken und Hallo sagen zu wollen. Das muss am Donnerstag gewesen sein, ein warmer, ruhiger Tag, wenn ich mich recht erinnere, nur der Hauch einer Brise, die vom Fjord herüberwehte, und die Seeschwalben flitzten nur wenige Meter vom Strand entfernt über die Wellen, wie gebannt von dem, was für sie ein komplexes