In ihrem Blut: Thriller (German Edition)
eigentlich das Sagen haben sollte, indem er ihm operative Entscheidungen abnahm. Nestor konnte sich nie entscheiden, selbst wenn sein Leben davon abhing, und schrieb lieber Memos oder E-Mails. Hatte er wirklich die Anweisung gegeben, die Akte Doyle zu schließen? Oder steckte Coulthard dahinter? Es roch ganz nach ihm, aber es würde schwierig sein nachzuweisen, ob er ihr nur ans Leder wollte oder ob er auch noch andere Motive hatte.
Wenn sie die Unterstützung eines Teams hätte, wäre es vielleicht anders. Aber sie war keine Teamspielerin. Wenigstens eine Sache, in der Coulthard und sie sich einig waren.
Sie schluckte ihren Selbstekel mit dem letzten Rest Whisky hinunter und ging nach Hause, weil sie etwas Stärkeres brauchte.
22
Nestor außer Dienst und zu Hause unterschied sich sehr von dem Nestor im Dienst. Chez Nestor bemühte er sich um das Image eines weltmännischen, geistreichen Lebenskünstlers, sogar um das eines Plauderers. Diese Fantasie war nun verschwunden, zusammen mit den meisten seiner anderen Illusionen. Er trank in seinem Keller, inmitten einer Sammlung von Burgunderweinen, die wahrscheinlich den Rest seines Vermögens darstellten.
Oben hörte er seine Frau mit ihren Kupferpfannen in der Designerküche herumklappern. Sie würde ihm irgendwas Unaussprechliches kochen, ein Rinnsal von leuchtend buntem Jus auf einem riesengroßen weißen Teller, getoppt von einem Scheibchen geschmortem Sellerie und einem knauserig bemessenen Kotelett. Für sie war der äußere Schein alles. Sie wusste, dass er alles für eine Steak-and-Kidney-Pie geben würde.
Frauen konnten so grausam sein.
Seine Mutter, einstmals eine langbeinige Debütantin, hatte ihn ausgelacht und gesagt, er wäre ein reicher Schnösel und könnte von Glück sagen, dass sein hemdsärmeliger Vater nicht mehr erlebt hatte, was aus seinem schisserigen Sohn geworden war.
Ach herrje.
Jetzt war er am Ende der Fahnenstange angekommen. Der Wein war sein Stolz und seine Freude. Er bevorzugte die vollmundigen, harmonischen Rotweine gegenüber den komplexen Weißen, er suchte in der Flasche, was er im Leben nicht finden konnte. Aber er trank selten Wein. Der Besitz schenkte ihm Genuss und Vorfreude. Belohnungsaufschub kennzeichnete seine ganze Existenz.
Doch diese Zeit war nun vorbei. Er entkorkte andächtig einen 1999 Comte Georges de Vogue Musigny und schwenkte ihn unter der Nase. Himmlisch.
Nach einer halben Flasche fiel Nestor ein, dass er sein Handy checken könnte, nur für den Fall, dass der Mistkerl auf seine Anrufe geantwortet hatte. Er stellte sich vor, dass in ganz London, oder vielmehr in der ganzen Welt, Hedgefondsmanager und Investmentbanker den Anrufen ihrer Klienten auswichen. Zweifellos hatten viele von ihnen ihre Handys ausgeschaltet oder waren inzwischen nicht mehr erreichbar. Aber er hatte den Verdacht, dass dieser Mistkerl noch weit mehr Gründe zum Kneifen hatte als die meisten anderen.
Nestor hatte seinen Pensionsfonds aufs Spiel gesetzt, das Haus, das Cottage in Wales. Die Zinsen, die er bekam, waren phänomenal gewesen – zu gut, um wahr zu sein, wirklich, aber er hinterfragte das nicht. Er kaufte nur noch mehr Burgunder. Als er aufgefordert wurde, noch mehr Geld nachzuschießen, viel und schnell, hatte er nicht mal die Namen der Unternehmen gekannt. Seine Optionen waren gekauft und verkauft und zusammen mit anderen Derivaten dann erneut verkauft worden. Auch seine Schulden waren verkauft worden. Zumindest hatte man es ihm so erklärt. Aber alles ging den Bach runter. Er hatte alles und noch mehr verloren. Wie hatte es so weit kommen können?
Er hielt sich für einen intelligenten Mann, aber er begriff einfach nicht, was passiert war. Trotzdem hatte er einen leitenden Posten, vielmehr eine leitende Position auf der mittleren Führungsebene, in einem Sonderdezernat, und seine Aufgabe bestand gerade darin, alles zu verstehen.
Genussvoll trank er noch einen Schluck, spülte das Riedel-Glas aus und nahm sich ein neues. Darin würde er sich einen Grand Cru einschenken, beschloss er nach einigem Nachdenken.
Das Problem, das wahre Problem nach dem Crash, nach der Katastrophe, die ihn finanziell ausgelöscht hatte, war, dass man ihm eine einmalige »Stell keine Fragen, dann wirst du auch nicht belogen«-Chance geboten hatte, seine Verluste wieder wettzumachen. Zweifellos ein Pakt mit dem Teufel.
Das befreite ihn von seinen allerletzten Geldreserven, aber er sagte sich: »Wer A sagt, muss auch B sagen, also dann: B.« Es
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