In ihrem Blut: Thriller (German Edition)
»Zwei Fliegen mit einer Klappe.«
»Wann sind Sie zurück?«
Berlin hielt das Handy hoch, um das Fauchen des Windes und das Rauschen der Wellen einzufangen, und beendete das Gespräch. Sie war nicht sein Eigentum.
Er konnte sie vor sich sehen. Eine magere Gestalt, ganz in Schwarz gehüllt, mit gesenktem Kopf und hochgezogenen Schultern, die Hände in den Taschen ihres Leninmantels, wie sie über die Kiesel am Meeresufer stapfte, Salzspuren von der brechenden Dünung an den kniehohen Kosakenstiefeln.
Dann erkannte er, dass er nicht einem Meeresrauschen lauschte, sondern dem Rauschen einer unterbrochenen Verbindung.
Er legte das Handy hin.
Berlin hatte den Mann, der die Haustür aufmachte, bei sich immer Rosenwänglein genannt. Seit Jahren wechselten sie ein höfliches Kopfnicken, weiter nichts. Sie schätzte ihn auf Anfang sechzig, gut erhalten und – natürlich – rosenwangig. Anscheinend war er gerade beim Kochen, denn er hielt einen Kochlöffel in der einen Hand. Es duftete himmlisch. Er brauchte einen Augenblick, um Berlins Gesicht einzuordnen, dann trat er einen Schritt zurück.
»Sie kommen besser rein.«
Berlin folgte ihm durch den Flur in eine große, gemütliche Küche. Er zeigte auf drei Töpfe auf dem Herd, in denen es blubberte.
»Ich erwarte später Gäste. Heute Abend, genauer gesagt.« Er wirkte nervös.
Berlin betrachtete ihn. Sie hätte wetten können, dass er die halbe Nacht aufgewesen war und gekocht hatte, weil er nicht schlafen konnte. Ruhelosigkeit quoll ihm aus allen Poren.
»Wie haben Sie mich gefunden?«, fragte er.
Berlin sah blitzartig im Geist das Verrätertor vor sich, aber ungeachtet dessen begann sie mit ihrem Schachzug. »Bitte entschuldigen Sie die Störung. Ich weiß, es muss peinlich für Sie sein, dass ich einfach so bei Ihnen reinschneie.«
Sie hielt inne, um ihm die Möglichkeit zu geben, ihr zu widersprechen. Er reagierte aber nicht, deshalb fuhr sie fort: »Sie hatten an dem Tag damals einen Termin. Direkt vor mir. Ich weiß, dass Sie Ihre Termine einhalten, aber als ich kam, war das Wartezimmer leer.«
Er starrte sie entsetzt an. Berlin sah, wie das Rosa aus seinen Wangen wich.
»Oh nein. Sie sind doch nicht etwa von der Polizei, oder? Man hat mich bereits befragt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand wie Sie dort arbeitet. Jemand wie wir, meine ich.«
Sie setzte sich unaufgefordert an den blank polierten, schönen, massiven Holztisch.
Er drehte das Gas unter den Töpfen ab und setzte sich ebenfalls. Jetzt sah sie das Zittern seiner Hände und die Schweißperlen an seinen Schläfen. Es hatte ihn hart getroffen. Er verbarg das Gesicht in den Händen.
»Als ich Sie vor der Haustür gesehen habe und mir klar wurde, wer Sie sind, da habe ich gedacht, Sie wären auch, na ja, ich dachte, Sie haben etwas zu tun mit …«
Berlin sah, wie verzweifelt er war. Dempster konnte ihn von seiner Liste streichen.
»Sie haben geglaubt, ich wollte Ihnen Heroin verkaufen. Sie haben gehofft, ich hätte den Stoff, den man Lazenby gestohlen hat.«
Er sah sie nicht an, sondern nickte nur.
»Und wenn ich … wenn ich zu denen gehören würde, die Lazenby ermordet haben, oder falls ich ihn selber umgebracht hätte, ihn, der seit Jahrzehnten für uns das Richtige getan hat … dann hätten Sie der Polizei nichts gesagt, sondern einfach bezahlt und gehofft, dass ich wieder mal vorbeikommen würde? Stimmt’s?«
Beschämt ließ er den Kopf hängen.
»Hab ich recht?«
Er nickte.
»Sie widern mich an«, sagte sie und dachte: Ich widere mich an .
»Sie wissen doch, wie es ist!«, widersprach er. »Ich bin zum hiesigen Allgemeinmediziner gegangen, der mich an eine Methadonklinik überwiesen hat. Ich vertrage dieses Gift nicht. Ich habe es vor Jahren ausprobiert. Die Liste von Ärzten, die Heroin verschreiben, ist gesperrt, bis das Innenministerium alles überprüft hat. Jemand hat mir erzählt, dass sich das schon seit sieben beschissenen Jahren hinzieht. Ich werde mir das Zeug auf der Straße beschaffen müssen. Ich werde alles verlieren!«
Berlin kämpfte gegen die Sympathie an, die sie zu überwältigen drohte. Sie schlug mit der Hand hart auf den Tisch, und Rosenwänglein saß bolzengerade da.
»Jetzt werden Sie mir alles erzählen, was Sie der Polizei nicht erzählt haben, und wenn Sie damit fertig sind und ich mir sicher bin, dass ich die Wahrheit kenne, kann ich Ihnen vielleicht helfen.«
Er leckte sich die Lippen – ob aus Angst oder Vorfreude, wusste sie nicht.
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