In ihrem Blut: Thriller (German Edition)
war die Pause vielsagend.
Na gut, dachte Berlin, vielleicht gibt es doch einen Beobachter. Aber beobachteten die ihn oder mich?
Sie sah aus dem Fenster.
»In der British Library. In einer halben Stunde.«
Berlin sah vom Zwischengeschoss aus zu, wie die Sicherheitsbeamten Coulthards Tasche durchwühlten. Coulthard hatte ihr einmal stolz mitgeteilt, dass der taktisch verzichtbare Elektroschocker, genannt Natter, auf der Straße eine abschreckende psychologische Wirkung besaß, aber kaum körperliche Verletzungen zufügen konnte. Eine Superkombination.
Zivilisten war es nicht erlaubt, einen bei sich zu führen, und er hatte seinen offensichtlich mitgenommen, als er den niederen Polizeidienst quittiert hatte. Coulthard war wohl irgendwie nie darüber hinweggekommen, dass er kein Beamter mehr war.
Der Wachmann winkte Coulthard durch. Also hatte der seinen Elektroschocker bestimmt im Kofferraum gelassen. Coulthard blickte sich im Foyer um, sah sie und humpelte zum Aufzug. Im Lampenlicht waren seine blauen Flecke deutlich zu sehen.
»Das Facelifting war erfolgreich«, sagte sie, als er näher kam.
»Ja. Hatten wir denselben Chirurgen?«
Ihre Hämatome waren verblasst, aber der Schnitt vom Überfall der Straßenräuber hatte eine Narbe durch die Augenbraue hinterlassen.
Sie wollte Kaffee und ein Stück Kuchen. Coulthard ging alles pflichtbewusst holen. Die British Library hatte die besten Rosinenkuchen von ganz London. Friedhofsfliegen hatten sie sie als Kinder genannt. Ein Schauder durchfuhr sie. Woher kam bloß dieses Zeug aus ihrer Kindheit? Sie sah plötzlich eine leere, weißgetünchte Wand vor sich. Sie konnte nicht darüber hinwegsehen, und die Mauer erstreckte sich endlos in alle Richtungen. Ein Netz aus winzigen Haarrissen auf der Oberfläche weitete sich zu Spalten.
Coulthard stellte den Kaffee und das Gebäck vom Tablett auf den Tisch und setzte sich.
»Ist alles in Ordnung?«, erkundigte er sich fast besorgt.
»Klar, bestens.«
»Sie sind etwas blass.«
Sie nahm sich einen Feigenkeks und biss rein. »Niedriger Zuckerspiegel«, sagte sie und klappte ihren Laptop auf. »Ich möchte, dass Sie sich etwas anhören.«
Plötzlich weit entfernte Stimmen, eine davon die von Nestor, der ein Nichts anbrüllte.
Sie konnte förmlich sehen, wie sich die Rädchen drehten, als Coulthard herauszufinden versuchte, was er hörte und was er aus dieser Situation herausholen konnte. Aber er war kein schneller Denker.
»Haben Sie die andere Stimme erkannt?«, fragte sie.
»Hm. Können Sie das noch mal abspielen?«
Er hatte sie nicht erkannt, sonst wäre er großspuriger gewesen, weil er dachte, er wüsste etwas und sie nicht. Aber sie spielte mit, nur für den Fall, dass er etwas zurückhielt. Sie ließ es noch einmal abspielen.
»Sie kennen die Führungsetage«, sagte sie. »Sie waren mit Nestor in Besprechungen. War da diese Stimme dabei?«
Er hob die Hände. »Ehrlich, ich bin mir nicht sicher. Wenn ich den Zusammenhang wüsste, könnte das helfen.«
Typisch, dachte sie. Ein mieser und durchschaubarer Versuch, an mehr Info heranzukommen. Wissen ist Macht.
»Hören Sie mal, Coulthard, falls Sie auch nur die leiseste Ahnung haben, wer das sein könnte, dann sagen Sie’s. Ich bin nicht zum Spaß hier, dafür stecke ich schon zu tief in der Scheiße. Ich würde Sie gern in einen noch größeren Misthaufen fallen lassen, und das tue ich auch, sobald Sie keinen Nutzen mehr für mich haben.«
Sie redete mit leiser, drohender Stimme. Der lernbegierige junge Mann auf der anderen Seite des Tischs las ein Buch mit dem Titel Warum jeder jedem etwas schuldet und niemand bezahlen kann . Nun nahm er seine Tasche und ging zu einem anderen Tisch.
Coulthard protestierte. »Berlin, Kollegin, ich weiß es nicht.«
Sie wollte den Laptop zuklappen, aber Coulthard streckte die Hand aus, um sie daran zu hindern.
»Hören Sie, wenn ich das für Sie rausfinde, sind wir dann quitt?«
»Träumen Sie weiter«, sagte sie und ließ den Deckel zuschnappen.
»Schicken Sie mir das per E-Mail«, bettelte Coulthard.
Berlins Miene verriet nichts.
»Einer von den Jungs, die an den Fällen Doyle und Nestor arbeiten, ist ein Kumpel von mir«, sagte Coulthard.
»Flint«, sagte sie.
Falls ihn ihr Wissen überraschte, konnte er das gut verbergen.
»Ja. Sein Team hat Dutzende von Zeugen befragt. Vielleicht erkennt einer von denen die Stimme.«
Sie aß den letzten Bissen des Feigengebäcks, während sie seine Worte überdachte. Coulthards
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