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In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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aufsehenerregenden Justizirrtum verwickelt«, sagte sie.
    »Nein«, sagte Yngvar resigniert. »Wir wissen aber auch nicht, ob diese beiden das waren.«
    Sie brachte ihn zum Auto, um ihm beim Einsteigen zu helfen. Sie wechselten kein Wort, bis Amund auf seinem Kindersitz angeschnallt war und alles andere neben ihm lag.
    »Bis dann«, sagte Yngvar leichthin.
    »Mmm«, sagte Inger Johanne und ging in ihre leere Wohnung zurück.
    Und wünschte, daß wenigstens der König von Amerika zu Hause wäre.

51
    Yngvar Stubø fühlte sich erbärmlich. Sein Hosenbund schnitt ihm in den Bauch, und der Sicherheitsgurt saß zu stramm. Das Atmen machte ihm Probleme. Vor zehn Minuten war er von der Europastraße abgebogen. Die neue Straße war schmal, und in den Kurven wurde ihm übel. Als er eine Busnische erreichte, fuhr er dort hinein und hielt. Er lockerte den Schlips, öffnete den Kragen und ließ sich gegen die Nackenstütze zurücksinken.
    Yngvar Stubø war fünfundvierzig und fühlte sich alt. Mit sechzehn hatte er Elisabeth kennengelernt. Sie hatten geheiratet, sobald sie alt genug waren, und Trine war dann sofort gekommen. Viele Jahre später kam er von der Arbeit nach Hause und fand ein schlafendes Baby in einem ansonsten leeren Haus.
    Es war mitten im Sommer gewesen. Jasminduft hing über den Häusern von Nordstrand. Trines Wagen, ein alter Fiesta, den sie ihr geschenkt hatten, stand mit den Vorderrädern auf dem Rasen; darüber ärgerte er sich. Er war gereizt, als er ins Haus ging. Er hatte Hunger. Er hatte um fünf zu Hause sein wollen, und jetzt war es schon Viertel vor sechs. Die Stille war auffällig, deshalb blieb er in der Diele stehen und horchte. Das Haus war leer; es fehlten die Geräusche, es fehlten die Menschen. Es roch nicht nach Essen, keine Gläser oder Teller klirrten. Er ertappte sich dabei, daß er weiterschlich, als wisse er schon, was ihn erwartete.
    Er hatte sich früher am Tag die Hose mit Tinte bekleckert. Gleich bei der Tasche, ein Filzstift war ausgelaufen. Elisabeth hatte zwei Tage zuvor neue Kleidung für ihn gekauft. Als er sie anprobierte, hatte sie den Kopf geschüttelt und gemeint, wie lächerlich es doch sei, für jemanden wie Yngvar Khakihosen zu kaufen. Sie hatte ihn geküßt und gelacht.
    Im Wohnzimmer blieb er stehen. Er konnte nicht einmal im Garten die Vögel zwitschern hören. Er schaute aus dem Fenster und sah sie umherfliegen, hörte jedoch nichts, obwohl die Fensterflügel offenstanden.
    Im ersten Stock lag Amund. Er war zwei Monate alt und schlief.
    Als Yngvar Elisabeth und Trine fand, blieb er einfach stehen. Er fühlte beiden nicht den Puls. Trine starrte ihn an. Ihre braunen Augen waren von einer matten Haut überzogen. Elisabeth riß unter dem Nachmittagshimmel den Mund auf, ihre Vorderzähne waren eingeschlagen, und ihre Nase war fast verschwunden.
    Yngvar zuckte zusammen. Der Bus hupte.
    Langsam ließ er den Motor wieder an und verließ die Nische. Er mußte sich eine andere Stelle suchen. Er mußte sich übergeben.
    Bei einer Abzweigung öffnete er die Tür und leerte seinen Magen, noch ehe der Wagen ganz zum Stillstand gekommen war. Zum Glück hatte er eine Flasche Wasser bei sich.
    Er hatte die ganze Nacht in der Waschküche verbracht. Der Tintenfleck hatte sich als widerspenstig erwiesen. Er hatte alles versucht. Spiritus, Fleckentferner, grüne Seife. Am Ende, als der Morgen heraufzog, nahm er eine Schere und schnitt den Fleck weg.
    Mehrere Kollegen hatten ihm ihre Gesellschaft angeboten. Er winkte nur ab. Sein Schwiegersohn war in Japan und kam mehr als vierzig Stunden zu spät nach Hause. Yngvar klammerte sich an Amund und konnte endlich weinen. Er wollte das Kind nicht hergeben. Der Schwiegersohn zog zu ihm und blieb über ein Jahr.
    Die Wasserflasche war leer. Yngvar versuchte tief und gleichmäßig zu atmen.
    Er hatte keine Ahnung, wie es mit Inger Johanne weitergehen sollte. Er wußte nicht, wie er sich zu verhalten hatte. Er begriff sie nicht. Er hatte Amund in der Hoffnung mitgenommen, daß etwas passierte, daß sie ihn sah und ihn vielleicht bat zu bleiben. Eine Kollegin hatte einmal gesagt, es sei reizend, wie er sich um den Enkel kümmerte. Sexy, hatte sie gesagt und ihn damit fast zum Erröten gebracht.
    Er durfte nicht soviel essen. Seine Hand fuhr über seinen Bauch, nach dem Erbrechen tat sein Zwerchfell weh. Er wurde langsam fett.
    Inger Johanne schien ihn für sechzig zu halten.
    Yngvar trank den letzten Schluck Wasser und ließ den Motor wieder an. Er

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