In kalter Absicht
Ellen unternommen hatte, ehe alles in den Teich gegangen war.
»Was wollen Sie eigentlich?«
»Ich komme von der Polizei.«
Karsten Åsli zuckte mit den Schultern und ließ sich in einem Sessel nieder. Der Polizist lief noch immer im Zimmer hin und her und sah sich alles genau an.
Aber er würde nichts finden. Einfach, weil es hier nichts gab.
»Und womit kann ich behilflich sein? Kann ich Ihnen vielleicht einen Kaffee anbieten?«
Der Mann hatte ihm den Rücken zugekehrt. Vielleicht war er in die Aussicht vertieft. Vielleicht dachte er nach.
»Nein, danke. Sie möchten sicher wissen, warum ich hier bin.«
Karsten Åsli hatte durchaus keine solchen Wünsche. Er wußte schließlich Bescheid.
»Ja«, sagte er. »Warum sind Sie hier?«
»Es geht um diese Kindesentführungen.«
»Ach ja?«
»Entsetzliche Geschichte«, sagte der Polizist und fuhr herum.
Die Kameraaugen fingen Karsten ein.
»Richtig«, sagte er und nickte langsam. »Wirklich grauenhaft.«
Er behielt den Blickkontakt bei. Atmete ruhig, Karsten hatte gewußt, daß das hier passieren könnte. Er hatte es in seine Berechnungen mit einbezogen. Es war nicht gefährlich. Überhaupt nicht. Außerdem war dieser Polizist älter als er. Alt. Nicht gut in Form.
»Die Ermittlungen sind ausgesprochen schwierig, und wir müssen einfach jeder Spur nachgehen. Und hier kommen Sie mit ins Spiel.«
Der Polizist lächelte zuviel. Er grinste ununterbrochen.
»Zwei der Angehörigen der Kinder behaupten, Sie früher einmal gekannt zu haben.«
Zwei. Zwei!
Karsten Åsli schüttelte leicht den Kopf.
»Um ganz ehrlich zu sein, bin ich über den Fall nicht sonderlich gut informiert«, sagte er. »Es läßt sich natürlich nicht vermeiden, das Wichtigste mitzubekommen, aber … Wer behauptet also, mich zu kennen?«
»Turid Sande Oksøy.«
Turid hätte das niemals zugegeben. Niemals. Nicht einmal jetzt, Karsten konnte es Stubø ansehen; das linke Auge des Polizisten wollte zucken, aber der Mann kämpfte dagegen an. Diese erzwungene Bewegung entlarvte die Lüge.
Wieder schüttelte er den Kopf.
»Ich bin ganz sicher, daß dieser Name mir nichts sagt«, erklärte er und griff sich an die Schläfe, ohne Stubø aus den Augen zu lassen. »Aber …«
Er schnippte kurz mit den Fingern der rechten Hand.
»Ich kenne den Namen natürlich aus den Fernsehnachrichten. Wie gesagt, ich bin nicht gerade auf dem laufenden, das wäre doch zuviel des Guten, finde ich, aber … sicher. Sie ist die Mutter von … diesem Jungen. Dem größeren Jungen. Oder irre ich mich da?«
»Nein.«
»Aber ich kenne sie nicht. Warum stellt sie solche Behauptungen auf?«
»Lena Baardsen.«
Der Polizist starrte ihn noch immer an. Sein linkes Auge war jetzt ruhig, unbeweglich.
»Lena Baardsen«, wiederholte Karsten Åsli langsam. »Lena. Ich hatte einmal eine Freundin namens Lena. Aber hieß sie Baardsen? Daran kann ich mich wirklich nicht mehr erinnern.«
Er lächelte den Polizisten an. Stubø lächelte nicht mehr zurück.
»Das muß … zehn Jahre her sein. Mindestens! Und ich habe zwei oder drei Frauen namens Lene gekannt. Mit E. Eine Kollegin von mir heißt Line. Aber das ist wohl nicht weiter wichtig.«
»Nein.«
Endlich nahm der Polizist auf dem Sofa Platz. Er sah sofort kleiner aus.
»Was machen Sie denn beruflich«, fragte er leichthin, fast uninteressiert, als hätten sie sich eben erst in einer Kneipe kennengelernt und nippten jetzt beide an ihren Bieren.
»Ich arbeite bei der Saga. In der Holzverarbeitungsfabrik. Im Dorf. Hier unten.«
»Ich dachte, Sie seien bei der Jugendfürsorge.«
»Das war ich. Ich habe allerlei gemacht. Dies und jenes.«
»Ausbildung?«
»Jede Menge.«
»Was denn?«
»Ach, auch so dies und jenes. Sind Sie sicher, daß Sie keinen Kaffee wollen?«
Stubø nickte und hob eine Hand.
»Stört es Sie, wenn ich mir einen hole?«
»Natürlich nicht.«
Es gefiel Karsten gar nicht, den Mann allein im Wohnzimmer zu lassen. Obwohl dort wirklich nichts zu sehen war, außer einigen ganz normalen Wohnzimmersachen, Möbeln und zwei Büchern und sonst kaum etwas, schien der Mann doch das ganze Haus zu besudeln. Er war ein Fremder und ungebeten gekommen. Der Polizist mußte verschwinden. Karsten hielt sich an der Tischkante fest, er hatte Durst. Seine Zunge klebte an seinem Gaumen und an der Rückseite seiner Zähne. Das Wasser strömte aus dem Hahn. Er bückte sich und trank begierig. Im Keller hatte er Beton und Werkzeug, und bald würde er sich von Emilie
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