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In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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brachte es nicht über sich, den Sicherheitsgurt anzulegen.
    Bei der erneuten Untersuchung von Sarah Baardsen hatte sich die unheimliche Theorie eines Mordes durch Kalium bestätigt. Gleich unter dem Haaransatz hatte der Pathologe auf der Schläfe des Kindes einen fast unsichtbaren Einstich gefunden. Eine Injektionswunde. Behutsam zugefügt, hatte er resigniert gesagt und aufgelegt. Es stand noch nicht fest, wie mit dem bereits begrabenen Kim verfahren werden sollte.
    Der Gynäkologe, der sicher Spritzen setzen konnte, war trotzdem ziemlich uninteressant. Er war entgegenkommend. Begriff, warum Yngvar gekommen war. Beantwortete alle Fragen. Schaute ihm offen in die Augen. Schüttelte bedauernd den Kopf. Seine Stimme war dunkel und melodisch, die Reste eines halb vergessenen Dialektes hatten Yngvar an seine Frau erinnert. Der Arzt war verheiratet, hatte drei Kinder und zwei Enkelkinder. Halbe Stellung an einem Krankenhaus und außerdem seine eigene Praxis.
    Cato Sylling, der Klempner aus Lillestrøm, arbeitete gerade in Fetsund. Am Telefon war er freundlich und hilfsbereit. Wollte am nächsten Tag nach Oslo kommen. Kein Problem. Die Sache sei einfach schrecklich, sein ganzes Mitgefühl gelte Lasse und Turid und er werde gern behilflich sein, wenn er irgend etwas tun könne.
    »Hab selber Kinder, wissen Sie. O verdammt. Würd den Kerl mit eigenen Händen erwürgen, wenn ich ihn hier hätte. Bis morgen um eins, also.«
    Es war nicht schwierig gewesen, Karsten Åslis Adresse und Telefonnummer ausfindig zu machen. Sein Haus zu finden war schon schwieriger. Yngvar mußte dreimal anhalten und nach dem Weg fragen. Endlich fand er eine Tankstelle, wo ein komischer Fettsack mit knallroten Haaren ihm weiterhelfen konnte.
    »Die dritte Abzweigung von hier aus«, sagte er. »Erst nach rechts, dann zweimal nach links. Dann noch sechs- oder siebenhundert Meter, und Sie sehen das Haus. Aber fahren Sie vorsichtig. Sonst ruinieren Sie sich den Unterboden.«
    »Danke«, murmelte Yngvar und fuhr wieder los.
    Karsten Åsli hatte gerade beschlossen, Emilie noch eine letzte Mahlzeit zu bescheren. Nicht, daß das etwas bedeuten würde. Sie aß ja doch nichts mehr. Ob sie etwas trank, wußte er nicht. Sie rührte nichts von dem an, was er ihr hinstellte, aber auch im Hahn gab es ja Wasser.
    Ein Wagen kam den Hang hoch.
    Karsten Åsli schaute aus dem Küchenfenster und auf den holprigen Karrenweg hinunter.
    Es war ein blaues Auto, ein dunkelblaues. Ein Volvo, soviel er sehen konnte.
    Es kam nie jemand her. Außer dem Briefträger, aber der fuhr einen weißen Toyota.

52
    Im voraus hatte sie gemeint, genau zu wissen, was sie sagen und wie sie ihre Fragen formulieren wollte. Trotzdem fehlten ihr die Worte, als Astor Kongsbakken sich am Telefon meldete. Plötzlich war er da, am anderen Ende der Leitung, und Inger Johanne hatte keine Ahnung, wie sie anfangen sollte.
    Er redete laut. Das konnte auf eine gewisse Schwerhörigkeit hinweisen. Es konnte auch daran liegen, daß er in Wut geriet. Als sie ein wenig zu rasch den Namen Aksel Seier erwähnt hatte, war sie sicher, daß er auflegen würde. Das tat er jedoch nicht. Er lenkte statt dessen das Gespräch in eine Richtung, die sie einfach nicht vorhergesehen hatte: Er fragte, sie antwortete.
    Astor Kongsbakkens Botschaft war immerhin kristallklar. Er konnte sich kaum an den Fall erinnern und hatte durchaus nicht vor, Inger Johanne Vik zuliebe sein Gedächtnis auf den Kopf zu stellen. Er machte sie dreimal auf sein gesegnetes Alter aufmerksam und drohte ihr zum Abschluß mit seinem Anwalt. Was sie allerdings von einem Anwalt zu befürchten haben könnte, blieb ungesagt.
    Inger Johanne blätterte in Asbjørn Revheim. Bericht über einen angekündigten Selbstmord.
    Astor Kongsbakkens Wutausbruch konnte viele Ursachen haben. Er war zweiundneunzig, und es war ja möglich, daß er immer schon wegen seiner Übellaunigkeit verschrien gewesen war. Bereits in den fünfziger Jahren waren Anekdoten über sein hitziges Temperament in Umlauf gewesen. Seine beiden Fotos in der Biographie zeigten einen untersetzten Mann mit breiten Schultern und vorstehendem Unterkiefer, eine ganz andere Erscheinung als die seines hochgeschossenen, fast schon leptosomen Sohnes. Auf dem einen Foto war der bekannte Staatsanwalt in schwarzer Robe und mit einer Gesetzessammlung in der rechten Hand zu sehen, in einer Haltung, als spiele er mit dem Gedanken, das Buch auf den Richtertisch zu schleudern. Seine Augen unter den buschigen

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