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In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Als die Beteiligten noch lebten. Als die Leute sich noch erinnerten. Jetzt lief sie nur mit dem Kopf gegen die Wand; überall, wo sie es versuchte.
    Sie hatte die ganze Sache satt. Und eigentlich hatte ja auch Aksel Seier sie abgewiesen. Der Gedanke an Alvhild Sofienberg versetzte ihr einen Stich in die Brust, aber rasch verdrängte sie diesen Anflug von schlechtem Gewissen. Inger Johanne hatte keine wirklichen Verpflichtungen, weder Aksel noch Alvhild gegenüber.
    Sie hatte wirklich mehr als genug getan, mehr als irgendwer verlangen konnte.

59
    »Und das ist alles, was wir haben«, sagte Yngvar Stubø mißmutig.
    »Jawohl.«
    Sigmund Berli schniefte und wischte sich die Nase mit dem Ärmel ab.
    »Nicht viel, fürchte ich. Keine Vorstrafen. Falls jemals irgendeine Anzeige gegen ihn vorgelegen hat, dann muß das lange her sein. Er hat weder in Oslo noch an einer anderen norwegischen Universität irgendein Examen abgelegt, die Ausbildung, mit der er geprotzt hat, muß er also irgendwo im Ausland gemacht haben, oder …«
    »Er hat sein Studium abgebrochen. Sie hat recht.«
    »Wer?«
    »Vergiß es.«
    Wieder schniefte Sigmund und fischte in seiner engen Jeanstasche nach einem Papiertaschentuch.
    »Erkältet«, murmelte er. »Total verrotzt. Karsten Åsli ist sehr oft umgezogen, das kann ich immerhin erzählen. Kein Wunder, daß er inzwischen auf das Einwohnermeldeamt pfeift. Eine Vagabundennatur, das ist er. Er hat übrigens den Taxischein gemacht. Für Oslo. Falls man das als Ausbildung bezeichnen kann.«
    »Kaum. Was ist das hier?«
    Yngvar zeigte auf einen gelben Klebezettel.
    »Was denn?«
    Sigmund beugte sich über die Tischplatte.
    »Ach, das. Er hat vor einigen Jahren einen Kurs als Krankenwagenfahrer gemacht. Du hast doch gesagt, ich sollte wirklich alle Einzelheiten zusammentragen.«
    »Was ist mit dem Jungen?«
    Yngvar kämpfte mit der Zellophanverpackung einer neuen Zigarrenkiste.
    »Daran arbeite ich noch. Aber warum sollten wir bezweifeln, daß der Typ gerade in dem Fall die Wahrheit sagt? Gibt es irgendeinen vorstellbaren Grund, warum er sich einen Sohn ausdenken sollte?«
    Yngvar ließ vorsichtig eine Zigarre in eine silberne Hülse gleiten und steckte sie in seine Brusttasche.
    »Ich glaube nicht, daß er lügt«, sagte er dann. »Ich möchte nur wissen, wieviel Kontakt er wirklich zu dem Jungen hat. Sein Haus sieht nicht gerade so aus, als hielte sich da häufiger ein Kind auf. Was ist mit Tromsø? War er da?«
    Sigmund Berli schaute die Kiste aus hellem Balsaholz an.
    »Bedien dich«, nickte Yngvar.
    »Das beste wäre doch gewesen, Karsten Åsli zu fragen! Ich habe alle Passagierlisten überprüft, und zumindest im fraglichen Zeitraum ist er nicht nach Tromsø geflogen. Ich habe mir eine Kopie von seinem Paßbild machen lassen. Das ist nach Tromsø geschickt worden. Wir müssen also abwarten, was dieser Professor sagt. Vermutlich gar nichts. Er besteht darauf, daß er das Gesicht nicht gut genug gesehen hat. Diese Ermittlung …«
    Er zeichnete wütende Gänsefüßchen in die Luft, ehe er sich eine Zigarre nahm.
    »… wird nicht gerade einfacher dadurch, daß Karsten Åsli nichts merken darf. Könnten wir ihn nicht einfach zu einer normalen Vernehmung vorladen? Himmel, das tun wir doch mit Gott und der Welt, ohne daß …«
    »Karsten Åsli ist weder Gott noch die Welt«, fiel Yngvar ihm ins Wort. »Wenn ich recht habe, dann hält er irgendwo ein Kind gefangen. Und deshalb soll er nicht einmal den allergeringsten Grund zu der Vermutung haben, daß wir hinter ihm her sind.«
    Sigmund Berli hielt sich die Zigarre unter die Nase.
    »Du, Yngvar«, sagte er, ohne dem Hauptkommissar in die Augen zu schauen.
    »Ja.«
    »Hast du noch mehr, etwas anderes als dieses … dieses … Hast du etwas Konkreteres, irgendwie, als dieses …«
    »Nein. Nur ein Gefühl. Ein sehr starkes Gefühl.«
    Es wurde ganz still im Zimmer. Vom Flur her waren rasche Schritte zu hören, und weit weg schrillte ein Telefon. Jemand nahm ab. Vor der Tür lachte eine Frau. Yngvar starrte Sigmunds Zigarre an, die er noch immer zwischen Nase und Oberlippe hielt.
    »Intuition ist nichts anderes als die Bearbeitung bekannter Fakten durch das Unterbewußtsein«, sagte er, und erst dann fiel ihm ein, woher er das hatte.
    Abrupt beugte er sich über den Tisch.
    »Der Mann war außer sich vor Angst«, sagte Yngvar verbissen. »Er war total fertig, als ich aufgetaucht bin. Ich war so …«
    Er zeigte mit Daumen und Zeigefinger eine Strecke

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