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In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Kristiane und hatte inzwischen seine Leiter und drei Räder eingebüßt. Außer Kristiane wußte niemand, wie er zu dem Namen gekommen war.
    »Sulamit hat heute Pferd und Elefant gerettet. Sulamit ist toll.«
    Inger Johanne kämmte sich die feuchten Haare und versuchte den beschlagenen Spiegel abzuwischen.
    »Was ist denn mit dem Pferd und dem Elefanten passiert?«, fragte sie.
    »Sulamit und Dynamit. Elefantzwelefant.«
    Inger Johanne ging in ihr Schlafzimmer und zog eine Jeans und einen roten Fleece-Pullover an. Zum Glück hatte sie die Wochenendeinkäufe schon am Vortag erledigt, ehe sie Kristiane aus dem Kindergarten abgeholt hatte. Sie konnten also einen langen Spaziergang machen. Kristiane mußte einige Stunden aus dem Haus, wenn sie abends ruhig sein sollte. Das Wetter wirkte vertrauenerweckend; Inger Johanne öffnete die Schlafzimmervorhänge und schaute aus zusammengekniffenen Augen in den Tag hinaus.
    Die Türglocke ging.
    »O verdammt, Mama.«
    »O verdammt«, wiederholte Kristiane ernst.
    Inger Johanne lief wütend durch den Flur und riß die Wohnungstür auf.
    »Aber hallo«, sagte Yngvar Stubø.
    »Hallo …«
    »Hallo«, sagte Kristiane, schaute hinter der Hüfte ihrer Mutter hervor und lächelte breit.
    »Du siehst heute aber fein aus!«
    Yngvar Stubø reichte der Kleinen die Hand. Und sie nahm sie aus unerfindlichen Gründen.
    »Ich heiße Yngvar«, sagte er ruhig. »Und wie heißt du?«
    »Kristiane Vik Aanonsen. Guten Tag. Feine Tatze. Ich hab eine Katze.«
    »Ach? Darf ich der auch guten Tag sagen?«
    Kristiane zeigte ihm Sulamit. Als er nach dem Feuerwehrauto greifen wollte, trat sie einen Schritt zurück.
    »Ich glaube, so eine schöne Katze hab ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen«, sagte er.
    Das Kind verschwand.
    »Ich war gerade in der Gegend und …«
    Er zuckte mit den Schultern. Diese offensichtliche Lüge verengte seine Augen zu einem fast flirtenden Lächeln. Inger Johanne spürte einen fremdartigen Stoß, der durch ihren Körper fuhr, einen Druck auf der Lunge, der sie dazu brachte, die Augen niederzuschlagen und ihn murmelnd ins Haus zu bitten.
    »Es ist nicht gerade aufgeräumt hier«, sagte sie mechanisch und ertappte sich dabei, wie ihre Augen blitzschnell durch das Zimmer huschten.
    Er setzte sich aufs Sofa. Das war zu tief und zu weich für einen schwergewichtigen Mann wie Yngvar Stubø. Seine Knie ragten zu weit nach oben, der Mann schien fast auf dem Boden zu sitzen.
    »Vielleicht wäre der Sessel besser«, schlug sie vor und nahm ein Bilderbuch vom Sitz.
    »Ich sitze doch gut«, sagte er; erst jetzt merkte sie, daß er einen großen Briefumschlag mitgebracht hatte, der nun vor ihm auf dem Couchtisch lag.
    »Ich wollte nur …«
    Sie wies vage in Richtung Kinderzimmer. Es war jedesmal dasselbe Problem. Da Kristiane wie eine gesunde und muntere Vierjährige aussah und sich bisweilen auch so verhielt, wußte Inger Johanne nie so recht, was sie sagen sollte. Ob sie nun erklären sollte, daß Kristiane ein wenig klein für ihr Alter war, daß sie schon sechs war und außerdem einen Gehirnschaden hatte, den niemand erklären konnte. Daß ihre vielen seltsamen Bemerkungen weder auf Dummheit noch auf altkluge Frechheit zurückzuführen waren, sondern auf einen Schaltfehler im Gehirn, den kein Arzt beheben konnte. Normalerweise wartete sie zu lange damit. So, als hoffte sie jedesmal auf ein Wunder. Auf plötzlich rationales Verhalten ihrer Tochter. Auf logisches Verhalten. Zusammenhängendes. Oder auf das plötzliche Auftreten eines sichtbaren Makels, einer geschwollenen Zunge und schrägstehender Augen in einem flachen Gesicht, bei dem alle anderen warm und verständnisvoll lächelten. Statt dessen war alles nur peinlich.
    Kristiane durfte im Arbeitszimmer ihrer Mutter 101 Dalmatiner sehen.
    »Das ist sonst nicht meine Art …«
    Wieder machte sie diese bedauernde, fast um Entschuldigung bittende Geste zu dem Zimmer hinüber, in dem jetzt ihre Tochter saß.
    »Schon in Ordnung«, sagte der Polizist auf dem Sofa. »Ich muß zugeben, daß ich ab und zu denselben Ausweg wähle. Bei meinem Enkel, meine ich. Der kann ziemlich anstrengend sein. Und ein Video ist ein guter Babysitter. Ab und zu.«
    Inger Johanne merkte, daß ihr Gesicht rot anlief, und ging in die Küche. Yngvar Stubø war Großvater.
    »Warum sind Sie hergekommen«, fragte sie, als sie mit einem Becher Kaffee zurückkehrte, den sie vor ihm auf einen Untersetzer stellte. »Die Erklärung, daß Sie gerade ›in

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