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In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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hatte. Seine Farbe hatte Ähnlichkeit mit Kristianes Windelinhalt damals, als sie so krank gewesen war, gelbbraun mit dunkleren, undefinierbaren Flecken. Ein Ohr war aufgerichtet, das andere hing schlaff herunter. Der Kopf war zu groß für den Rumpf. Der Schwanz peitschte hin und her, und es sah aus, als lache der Köter. Seine Zunge fegte fast über den Boden.
    »Wie heißt der, sagst du?«
    »König von Amerika. Mein Hund. Ein Hundefund.«
    Kristiane wollte das Biest hochheben, das für seine drei Monate ungewöhnlich groß aussah. Der Welpe mochte nicht hochgehoben werden. Es endete damit, daß Kristiane hinter ihm her ins Wohnzimmer kroch, auf allen vieren und mit hängender Zunge.
    »Wie kommt sie denn auf diesen Namen?«
    Isak zuckte mit den Schultern.
    »Wir lesen gerade ›Der Hut des Zauberers‹. Wo Mumin in den Kaiser von Kalifornien verwandelt wird, weißt du. Deshalb vielleicht. Keine Ahnung.«
    »Jack«, rief Kristiane aus dem Wohnzimmer. »Er heißt auch Jack.«
    Inger Johanne zuckte leicht zusammen.
    »Was ist los?«
    Isak streichelte ihren Oberarm.
    »Stimmt was nicht?«
    »Nein. Ja. Ich verstehe dieses Kind einfach nicht.«
    »Es ist doch nur ein Name. Herrgott, Inger Johanne, das ist doch kein Grund …«
    »Vergiß es. Wie war es denn hier so?«
    Sie kehrte ihm den Rücken zu. Der König von Amerika pißte auf den Wohnzimmerteppich. Kristiane holte gerade eine Plätzchendose aus dem oberen Küchenregal, sie stand in der obersten Schublade und konnte jeden Moment runterfallen.
    »Hoppla!«
    Inger Johanne fing sie auf und versuchte sie zu umarmen.
    »Jack mag Cornflakes«, sagte Kristiane und riß sich los.
    Der Deckel ging auf. Die Dose fiel ihr aus der Hand. Der Hund kam angerannt. Kind und Köter wälzten sich in Maisflocken. Die zerbrachen knirschend, und Kristiane wollte sich ausschütten vor Lachen.
    »Jedenfalls sie hat ihren Spaß«, sagte Inger Johanne mit resigniertem Lächeln. »Warum hast du bloß so ein … häßliches Tier genommen!«
    »Schht!«
    Isak legte ihr den Finger auf den Mund, und sie wich zurück.
    »Jack ist schön. Ist etwas passiert? Du bist so … Irgendwas ist doch los mit dir.«
    »Hilf mir«, sagte sie kurz und holte den Staubsauger.
    Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, wie Kristiane auf die Idee gekommen war, den Hund Jack, König von Amerika, zu nennen.

33
    Er fühlte sich seltsam nervös. Vielleicht war er ja nur müde. Die beiden Stunden auf dem Waldweg in Lavangsdalen, nur eine Dreiviertelstunde von Tromsø entfernt, hatten natürlich geholfen. Besonders toll in Form war er trotzdem nicht. Sein Kreuz schmerzte, seine Augen waren trocken, er kniff die Lider zusammen und gähnte heftig, um Tränen hervorzulocken. Die Nervosität schlug sich in einem Prickeln in den Fingerspitzen und einem seltsamen hohlen Gefühl im Bauch nieder. Er trank in langen Schlucken Wasser aus einer Flasche. Sein Wagen stand hinter den Studentenwohnungen am Prestvann. Studenten kommen und gehen. Sie leihen sich Autos. Sie haben Besuch. Er mußte einfach hier halten. Aber er konnte nicht mehr sehr lange im Auto sitzenbleiben. So etwas fiel auf. Vor allem vielleicht in einer Gegend, in der viele alleinstehende Frauen lebten. Er schraubte die Flasche zu und atmete tief durch.
    Er brauchte keine fünf Minuten, um zu der kleinen Stichstraße oben am Langnesbakken zu gehen. Das wußte er natürlich, er war ja nicht zum ersten Mal hier. Er kannte ihre Gewohnheiten. Wußte, daß sie am letzten Sonntag im Monat immer zu Hause war. Ihre Mutter würde kommen, um Punkt fünf. Wie sie es immer machte. Um zu kontrollieren. Um ihr Eigentum zu überprüfen. Das Ganze getarnt als gemütliches Familienessen. Hammeleintopf, ein gutes Glas Rotwein, ein forschender Blick. Sauber genug? Schön genug? Hat der Wasserhahn im Badezimmer eine neue Dichtung bekommen?
    Er wußte, was jetzt passieren würde. Dreimal war er im Laufe dieses Frühlings hier gewesen. Hatte sich umgeschaut. Notizen gemacht. Es war fünf vor drei. Er bog um die Kurve und schaute sich um. Niemand zu sehen. Es regnete, aber nicht sehr. Die Wolken hingen tief über den Bergen von Kvaløya; im Westen wurde der Himmel schwarz, und das Wetter würde sich zum Abend hin verschlechtern. Mit leichten Schritten durchquerte er einen Garten und versteckte sich in einem Gebüsch. Das war weniger dicht, als ihm lieb war. Obwohl er graue und dunkelblaue Kleidung trug, würde er entdeckt werden, wenn jemand genau hinschaute. Ohne sich umzusehen lief

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