In kalter Absicht
Nachdruck.
Inger Johanne hatte ihn noch nie fluchen hören. Auf irgendeine Weise paßte es gut zu ihm.
»Oder, wir haben eine Million Spuren. Nur führen die nirgendwohin.«
Er schenkte für sie beide Kaffee ein.
»Die Sache wird noch komplizierter dadurch, daß auch der Polizeibezirk Oslo mit im Spiel ist. Normalerweise helfen wir denen nicht bei den taktischen Ermittlungen. Sie haben jede Menge tüchtige Leute, das ist nicht das Problem. Aber jetzt wird mehr herumgekleckert als in einem Kindergarten am Lucia-Tag.«
»Aber wo du schon so viele Köche hast, wozu brauchst du dann noch mich?«
Langsam ließ er seine Tasse sinken. Der Henkel war zu klein für seine dicken Finger.
»Ich sehe dich in der Rolle einer Art Beraterin. Einer, der ich Bälle zuwerfen kann. Für mich wäre es leichter, deine Ideen im Kollegenkreis vorzutragen. Dir würde nämlich ziemliche Skepsis entgegengebracht. Und da wäre ein Mittelsmann nicht schlecht. Ich eben.«
Er lächelte schief, als halte er es für nötig, seine Kollegen zu rechtfertigen.
»Ich brauche eine Person, der ich Bälle zuwerfen kann«, sagte er ehrlich. »Eine, die außerhalb des Systems steht. Außerhalb des Chaos, wenn du so willst.«
»Und wie stellst du dir das vor«, fragte sie trocken, »mich alle Unterlagen durcharbeiten zu lassen, solange ich in keinem förmlichen Arbeitsverhältnis zur Kripo stehe?«
»Das kannst du meiner Verantwortung überlassen.«
»Es fällt aber in meine Verantwortung, mir kein Material zeigen zu lassen, das der Schweigepflicht unterliegt.«
Er schüttelte resigniert den Kopf.
»Kannst du mir nicht lieber antworten? Jetzt frage ich dich zum letzten Mal. Selbst für mich gibt es irgendwo eine Grenze.«
Inger Johanne legte sich ein Stück Zucker auf die Zunge. Es schmolz unter ihrem Gaumen, der süße Geschmack ließ ihre Zähne knacken. Er würde jetzt gehen. Das konnte sie ihm anmerken. Sie würde ihn niemals wiedersehen.
»Ja«, sagte sie gelassen, als habe der Mann sie vorher noch nie gefragt. »Ich helfe dir, wenn ich kann.«
Inger Johanne dachte, er werde in die Hände klatschen. Zum Glück tat er das nicht. Er fing an den Tisch abzuräumen, als sei er in dieser Küche zu Hause.
Yngvar Stubø verließ Inger Johanne Viks Wohnung erst nach sieben Uhr an diesem Abend. Inger Johanne hatte schon die Wohnungstür geöffnet. Sie wußte nicht wohin mit ihren Händen. Sie schob die Daumen in den Hosenbund.
»Du erinnerst mich an sie«, sagte Yngvar ruhig und knöpfte sich die Jacke zu.
»An deine Tochter? Erinnere ich dich an … Trine?«
»Nein.«
Er klopfte sich kurz auf die Brust.
»Du erinnerst mich an meine Frau.«
Line kam die Treppe hochgelaufen.
»Ach. Hallo!«
Die Freundin musterte den Fremden voller Neugier.
»Yngvar Stubø«, murmelte Inger Johanne. »Line Skytter.«
»Freut mich.«
»Dann mach’s gut.«
Yngvar Stubø streckte die Hand aus. Ehe Inger Johanne danach greifen konnte, ließ er sie unbeholfen in der Jackentasche verschwinden. Dann nickte er kurz und ging.
»Himmel«, sagte Line und zog die Tür zu. »Was für ein Mann! Aber er ist nichts für dich. Absolut nicht.«
»Da hast du recht«, sagte Inger Johanne irritiert. »Aber warum kommst du eigentlich?«
»Er ist zu stark für dich«, plapperte Line weiter und lief ins Wohnzimmer. »Nach dieser Warren-Geschichte kann Inger Johanne Vik keine harten Mannsbilder mehr brauchen.«
Sie ließ sich aufs Sofa fallen und zog die Füße an.
»Du brauchst solche Isaks. Niedliche Männlein, die nicht so clever sind wie du.«
»Hör doch auf.«
Line schnupperte in der Luft und rümpfte die Nase.
»Hast du ihn … Durfte er hier rauchen ? Wo Kristiane morgen kommt und alles?«
»Hör auf, Line! Was willst du?«
»Mir von deiner Reise nach Amerika erzählen lassen, natürlich. Dich daran erinnern, daß sich am Mittwoch unsere Literaturgruppe trifft. Du bist schon dreimal hintereinander nicht aufgetaucht, ist dir das überhaupt klar? Die anderen fragen sich langsam, ob du keine Lust mehr hast. Nach fünfzehn Jahren. Ha!«
Line ließ sich aufs Sofa fallen.
Inger Johanne gab auf und holte eine Flasche Wein aus dem Regal im kühlen Schlafzimmer. Zuerst griff sie nach einer Flasche Barolo. Dann schob sie sie vorsichtig wieder zurück. Neben dem Regal stand ein Tetrapack Wein.
Sie merkt den Unterschied ja doch nicht, dachte sie.
Als sie zu Line zurückging, fragte sie sich, ob Yngvar Stubø vielleicht Anti-Alkoholiker sein könne. Er sah ein bißchen
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