In letzter Sekunde - Child, L: In letzter Sekunde - Echo Burning/ Reacher 05
nicht«, bat sie ihn. »Zumindest nicht hier. Bitte. Hören Sie mir einfach noch ein bisschen zu.«
Er sah ihr ins Gesicht. »Okay, ich höre.«
»Und helfen Sie mir trotzdem?«
»Wobei?«
Sie gab keine Antwort.
»Wie hat es sich angefühlt?«, fragte er. »Geschlagen zu werden?«
»Angefühlt?«, wiederholte sie.
»Körperlich«, antwortete er.
Sie sah weg. Dachte darüber nach. »Kommt darauf an, wo«, sagte sie.
Er nickte. Sie wusste, dass es sich an unterschiedlichen Stellen unterschiedlich anfühlte.
»In den Magen«, sagte er.
»Ich hab mich oft übergeben müssen«, erklärte sie, »und hab mir Sorgen gemacht, weil manchmal Blut dabei war.«
Er nickte wieder. Sie wusste, wie es war, Fausthiebe in den Magen zu bekommen.
»Es ist wahr, ich schwör’s Ihnen«, sagte sie. »Fünf volle Jahre lang. Wozu sollte ich das erfinden?«
Dann machte sie eine Pause, als fühle sie sich beobachtet. Reacher sah, wie Köpfe sich wegdrehten. Die Köchin, die Bedienung, die Kerle an den anderen Tischen. Die Köchin und die Bedienung sahen schneller weg, als die beiden Kerle es für nötig hielten. Ihre Blicke waren offen feindselig.
»Können wir gehen?«, fragte sie. »Wir müssen weiter. Es ist noch eine lange Fahrt.«
»Ich soll mitkommen?«
»Das ist der springende Punkt«, entgegnete sie.
Er sah wieder aus dem Fenster.
»Bitte, Reacher«, bettelte sie. »Hören Sie sich meine Geschichte wenigstens ganz an, bevor Sie sich entscheiden. Ich kann Sie in Pecos absetzen, wenn Sie nicht nach Echo mitkommen wollen. Sie können sich das Museum ansehen. Sie können Clay Allisons Grab besichtigen.«
Er beobachtete, wie der Schatten des Pfostens den unteren Rand der Windschutzscheibe des Cadillac berührte. Im Wageninneren würde jetzt eine Gluthitze herrschen.
»Sie sollten es sich unbedingt ansehen«, sagte sie. »Wenn Sie Texas erkunden.«
»Okay«, stimmte er zu.
»Danke«, murmelte sie.
Er gab keine Antwort.
»Warten Sie bitte hier auf mich«, sagte sie. »Ich muss auf die Toilette. Die Fahrt ist noch lang.«
Sie glitt mit einer anmutigen Bewegung aus der Sitznische und ging mit gesenktem Kopf quer durch den Raum, ohne dabei nach links oder rechts zu blicken. Die Männer an den
Tischen folgten ihr mit ihren Blicken, bis sie verschwunden war, und starrten dann wieder ausdruckslos auf Reacher. Er ignorierte sie, drehte den auf dem Tisch liegenden Kassenbon um und stapelte Münzen aus seiner Hosentasche darauf. Den genauen Betrag, kein Trinkgeld. Eine Bedienung, die nicht redete, wollte bestimmt keines. Dann stand er auf und ging zur Tür. Die Kerle beobachteten ihn auf dem ganzen Weg. Er blieb vor dem Glas stehen und blickte hinaus auf das im Sonnenglast liegende Land, bis er ihre Schritte hinter sich hörte. Sie hatte sich gekämmt und etwas Lippenstift aufgelegt.
»Am besten gehe ich auch noch mal auf die Toilette«, sagte er.
»Warten Sie, bis ich im Auto bin«, bat sie. »Ich möchte hier nicht allein warten. Ich hätte erst gar nicht reingehen sollen.«
Sie ging hinaus und über den Parkplatz, stieg in den Cadillac und knallte die Fahrertür zu. Er wandte sich ab und ging nach hinten zur Herrentoilette. Sie war ziemlich geräumig, mit zwei Urinalen und einer WC-Kabine. Ein angestoßenes Waschbecken mit einem Kaltwasserhahn. Eine dicke Rolle Papierhandtücher auf dem Spender, in den sie gehört hätte. Nicht gerade die sauberste Toilette, die er in seinem Leben gesehen hatte.
Er zog seinen Reißverschluss auf und benutzte das linke Urinal. Hörte draußen Schritte und sah auf die Chromverkleidung über dem Porzellanbecken. Sie war schmutzig, aber ihre Rundkappe reflektierte den Raum hinter ihm wie ein winziger Überwachungsspiegel. Er sah, wie die Tür sich öffnete und ein Mann hereinkam, wie die Tür sich wieder schloss und der Mann sich dagegen lehnte. Vermutlich einer der Pick-up-Fahrer. Die Chromverkleidung verzerrte das Bild etwas, aber sein Scheitel befand sich fast auf Höhe des oberen Türrahmens. Jedenfalls kein kleiner Mann. Und er tastete
mit einer Hand hinter seinem Rücken herum. Reacher hörte das Klicken des Türschlosses. Dann veränderte der Kerl seine Haltung und ließ die Arme herabhängen. Er trug ein schwarzes T-Shirt mit einem Schriftzug, den Reacher in dem winzigen Spiegel nicht entziffern konnte. Irgendein Firmenname. Vielleicht der einer Ölgesellschaft.
»Sie sind wohl neu hier?«, fragte der Kerl.
Reacher gab keine Antwort. Beobachtete nur weiter sein
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