In letzter Sekunde
sich haben.
„Du wirst doch nicht lange fort sein, oder?" fragte sie.
„Ein paar Stunden."
Er brauchte diese Zeit für sich, ein wenig Distanz, um wieder einen klaren Blick zu bekommen. Weil sonst die Gefahr bestand, dass er ihr alles gestand.
Nachdem er beide Türen abgeschlossen hatte, verließ er das Haus und stieg in seinen Jeep.
Niemand wird Lynn hier finden, beruhigte er sich.
Er fuhr hinaus zur South Side, dachte an die Narbe, die er Johnny Rincon auf der High School verpasst hatte. Und dem Ekel gefiel sein Aussehen sogar noch, weil sein verunstaltetes Gesicht anderen Leuten Angst machte.
In der Gegend hatte sich nicht viel geändert. Auf den Eingangsstufen und den Fußwegen lungerten Leute herum. Die Straßen waren der Lebensmittelpunkt der Anwohner. Kinder spielten dort, und an den Straßenecken hingen jugendliche Gangs herum und besprachen ihre Geschäfte. Auf den Baikonen saßen die Alten, ließen das Leben vorüberziehen.
An der Hauptstraße reihten sich Billigläden, Pfandhäuser und Second-handgeschäfte aneinander. Hier gab es weder Büchereien noch modische Coffeeshops oder Sushi-Bars. Die Zeit schien stehen geblieben zu sein in diesem Teil der Stadt.
Blade hatte große Anstrengungen unternommen, ihr zu entfliehen.
Seine Mutter war vor rund sechs Jahren zu ihrer Schwester in einen der Vororte gezogen, als seine jüngere Schwester Rena heiratete. Damals war er beim Militär gewesen. Und als er dann vor einem Jahr die Spezialeinheit verließ, hatte ihn nichts mehr hierher gezogen.
Was er jetzt tat, tat er für Lynn.
Mit etwas Glück fand er einen freien Parkplatz in der Nähe von Skipper's. Die Kneipe lag an der Ecke einer Seitenstraße, wo sich alles traf, was in der Gegend Rang und Namen oder keinen festen Job hatte. Hoffentlich war es immer noch so.
Dichter Tabakqualm und die alte pseudomaritime Einrichtung empfingen ihn, als er die Gaststube betrat. An der Tür blieb er stehen. Trotz der frühen Stunde herrschte bereits reger Betrieb, und der Besitzer Skipper -die Kapitänsmütze auf dem Kopf-beherrschte immer noch die lange Theke, auch wenn er inzwischen grau geworden war.
An einem der Tische wurde Karten gespielt. Aus dem Hinterzimmer war das Klicken von Billardkugeln zu hören. Blade schlenderte hinüber und sah sich die Spieler an. Gegen das Gesetz oder nicht, sie spielten natürlich um Geld. Etwas anderes hätte er auch nicht erwartet.
„Na, wer beehrt uns denn da mit seinem Besuch - Blade Stone!" erklang da Skippers Stimme.
Schlagartig wurde es still rundherum. Alle Köpfe drehten sich nach Blade um. Er ließ sich auf einem der Barhocker nieder. Mehr als nur ein paar Gäste waren Freunde von Johnny oder ihm irgendwie verpflichtet. In einer Gegend wie dieser wurde nichts vergessen - weder Gutes noch Schlechtes. Ein Leben lang nicht.
Einer zog ein Handy hervor, klappte es auf, drehte Blade den Rücken zu und telefonierte.
Ein anderer Mann mit Spitzbart warf seine Karten auf den Tisch.
„Ich passe", verkündete er laut. „Ihr habt mir heute zu gute Karten, Jungs."
Er erhob sich, schlenderte zur Bar und setzte sich neben Blade.
„Na, das ist ja eine große Überraschung. Tauchst endlich einmal wieder auf. Ich hätte gedacht, ich würde dein hässliches Gesicht hier nie mehr zu sehen bekommen, Blade."
„Wenn ich gewusst hätte, dass du hier bist, Leroy, wäre ich noch länger weggeblieben."
Blade ergriff die Hand des kleineren Mannes. „Wie geht es dir?"
„Durstig."
„Das können wir beheben." Blade bedeutete Skipper, ihnen zwei Bier zu bringen. „Immer noch der Alte, was, Leroy?"
„Aber sicher. Hab inzwischen noch zwei Kinder."
„Das macht fünf, oder? Das Wort Enthaltsamkeit gehört wohl nicht zu deinem Wortschatz?"
Leroy lachte und griff nach seinem Bier. „Das Weib will es noch mal probieren - sie möchte unbedingt ein Mädchen haben." Er trank einen kräftigen Schluck, dann fragte er: „Wie viele hast du?"
„Ich bin nicht verheiratet."
„Was hat das denn damit zu tun?"
Beide lachten, stießen an und tranken, während Blade rasch das Bild einer zierlichen Blondine mit großen grauen Augen verscheuchte, das vor seinem inneren Auge aufgestiegen war.
Die nächsten fünf Minuten berichteten sie sich, wie es ihnen ergangen war, dann bestellte Blade noch zwei Bier. Sie trugen sie hinüber zu einem abseits stehenden Tisch, und nun kam Blade zur Sache.
„Ist Johnny Rincon immer noch der große Boss hierin der Gegend?" erkundigte er sich mit gesenkter
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