In Liebe, Rachel
des VW . Es fiel ihm sichtlich schwer, sich zu beherrschen. Unverständnis stand in seinen blauen Augen … und Schock. »Was, zur Hölle, ist das denn?«
Kate presste ihren Körper gegen den Zaun, spürte den Druck des Drahtes an ihren Brüsten. »Hast du Lust auf ein Mittagessen, Liebling? Ich ja. Ich bin vollkommen
ausgehungert
.«
Paul blickte blinzelnd auf den gelben Sprunganzug, auf den nun schlaffen Fallschirm auf dem Boden und dann auf die Lehrer seiner Frau, die in respektvoller Entfernung stehen geblieben waren und lächelten. Er schaute so entgeistert, als sei soeben eins seiner neuen Computerspiele bei einem Testlauf unerklärlicherweise sechs Level weitergesprungen.
»Kate … was machst du denn hier?«
Sie beugte sich gerade so weit von dem Zaun zurück, dass sie den Reißverschluss ihres Anzuges bis zum Schritt aufziehen konnte. Ihr T-Shirt rutschte dabei empor und enthüllte keck ihren Bauchnabel. »Ich bin aus einem Flugzeug gesprungen – mit ein bisschen Hilfe –, aus zweieinhalbtausend Meter Höhe.«
Paul schüttelte reflexartig den Kopf. Sie bemerkte seine frisch geschnittenen Haare. Als sie jung waren, hatte er sie immer bis zum Kragen wachsen lassen, bevor er zum Friseur ging.
Seine Hand rutschte von der Motorhaube, er verlor den Halt und stieß mit der Hüfte gegen das Auto. »Warum …«, fragte er mit heiserer Stimme zwischen aufgeregten Atemzügen, »warum zum Teufel hast du das getan?«
»Wegen Rachel.«
»Rachel«, plapperte er wie ein Papagei nach. Eine Falte der Konzentration zwischen seinen Brauen vertiefte sich. »Rachel ist tot.«
»Es war ihr letzter Wunsch. Sie hat mich gebeten, einen Fallschirmsprung zu absolvieren.« Kate hob ihr Gesicht zur Sonne. »Also habe ich das getan.«
»Ich kann dich nicht dazu bewegen, eine Sicherungskopie von deiner verdammten Festplatte zu machen, aber ein Wort von Rachel …« Seine Stimme klang seltsam, gequetscht. Er stieß sich vom Auto ab, schlug die Hände an den Kopf, drehte sich auf dem Absatz um und ging ein paar Schritte. Dann krümmte er sich wie ein Baseball-Fänger, schien auf dem Boden nach Antworten zu suchen. Kate konnte förmlich hören, wie er sich durch die Level zurückdachte und den Fehler im Algorithmus suchte.
Dann brüllte er plötzlich: »Hast du deinen
verdammten Verstand
verloren?«
Die Euphorie fiel abrupt von ihr ab. Sie fühlte sich wie in einem Flugzeug, das durch ein Luftloch flog. Natürlich war er schockiert. Natürlich war er verwirrt. Sie hatte in den letzten Tagen ganz genau darauf geachtet, dass er keine Ahnung bekam von dem, was sie vorhatte. Doch in ihrer Fantasie hatte sie sich eine andere Reaktion ausgemalt. Sie hatte sich so etwas wie den glorreichen Abschluss von Pauls letztem Adventure-Computerspiel vorgestellt – da warf sich die Kriegerfrau in einem explodierenden Sternenregen dem fähigsten ihrer männlichen Mitstreiter in die Arme.
Doch so lief das offenbar nicht. Sie musste näher an ihn herankommen, bevor seine Verärgerung diese fantastische Gelegenheit endgültig ruinierte. Sie stieß sich von dem Zaun ab und suchte nach einem Durchgang. »Paul, sei nicht böse.«
»Ich soll nicht böse sein?« Er hob seinen Kopf lange genug, um in den Himmel zu blicken, wo eine weitere Cessna gerade über der Landefläche kreiste. »Das ist hier schließlich nicht dasselbe, als wenn du meinen Computerschraubenzieher dazu verwendest, um ein Sirupglas zu öffnen! Ich habe gerade meine Frau und die Mutter meiner drei Kinder
aus einem Flugzeug springen sehen!
«
»Ich habe heute vier Stunden lang trainiert.« Kate blickte mit zusammengekniffenen Augen den Zaun entlang. War das dort hinten ein Tor? »Ich hatte zwei professionelle Springer an meiner Seite, die mich nach unten geleitet haben. Ich hatte zwei Fallschirme. Den Hauptschirm und noch einen in Reserve. Wenn einer ausgefallen wäre, hätte der andere …«
»Soll mich das etwa
beruhigen?
«
»Ich weiß, wie man schwebt. Ich weiß, wie ich meinen Höhenmesser zu bedienen habe. Ich weiß, wann ich die Reißleine ziehen muss. Ich weiß, wie ich den ersten Fallschirm abstoßen und den zweiten aktivieren muss, wenn etwas schiefläuft. Ich habe eine Stunde gelernt, wie man aus einem Flugzeug springt. Es spielt doch überhaupt keine Rolle. Ich hätte ebenso gut auf der Fahrt zu diesem Flughafen hier ums Leben kommen können. Ich könnte morgen wegen eines Aneurysmas zusammenbrechen. Wir können jederzeit sterben, genauso wie
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