In Liebe verführt
die Fregatte versuchte, die Richtung zu ändern. Doch sie war viel größer und weniger beweglich als das englische Schiff und brauchte weitaus länger, um zu wenden. Ein mächtiges Krachen und Schleifen erfüllte plötzlich die Nachtluft, und die Fregatte kam bebend und knirschend auf der Sandbank zum Stehen.
Die Mary Rose flog nahezu vor dem Wind ins offene Gewässer, und Cosimo übergab nach ein paar Minuten das Steuerruder an Mike. Er wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. Trotz des kühlen Windes war ihm durch die Anstrengungen der Schweiß ausgebrochen.
»Was wird mit ihnen geschehen?«, fragte sie.
Er grinste. »Sie werden hübsch brav dort bleiben, bis die Marine erscheint«, erklärte er und klang ihrer Meinung nach reichlich selbstzufrieden. »Irgendwo hier im Ärmelkanal sind zwei englische Kriegsschiffe unterwegs. Sie werden nach Morgengrauen an diesem Punkt vorbeikommen. Und dann finden sie ein schönes Geschenk vor, mit Schleife und gut verpackt.«
Er spähte zum Himmel und entdeckte das erste Grau des Morgens im Osten. Meg folgte seinem Blick. »Das war eine sehr kurze Nacht«, sagte sie, obwohl sie das Gefühl hatte, eine Ewigkeit wäre vergangen seit jenem spannungsgeladenen Abendessen unter den Sternen.
Er nickte. »Du bist müde. Geh nach unten und leg dich schlafen. Wir werden innerhalb der nächsten Stunde den Hafen erreichen.«
Meg dachte eine Sekunde nach und beschloss dann, nicht zu sagen, dass sie gar nicht besonders müde war. Oder gar, dass sie lieber an Deck bleiben würde. Einer jener eisigen Blicke pro Nacht war ausreichend. Sie machte sich auf den Weg in die Kajüte, wo Gus ihr ein »Gut’n Tag« entgegenschnarrte, als er hörte, wie sich die Tür öffnete. Sie verstand das als Hinweis, am Leben teilnehmen zu wollen, und nahm das Seidentuch von seinem Käfig. Er begrüßte sie mit wachen glänzenden Knopfaugen, hopste über die Stange und segelte hinüber zum Fenstersims. Von dort aus betrachtete er mit Interesse den Schimmer von Morgengrauen am Himmel.
Meg kraulte ihm den Kopf und streckte sich dann auf der Koje aus, wobei sie sorgfältig darauf achtete, nicht ihren verletzten Arm zu belasten. Sie machte sich nicht die Mühe, die Stiefel auszuziehen, denn sie wollte in Kürze zurück an Deck gehen.
Sie hörte nicht, wie sich eine Stunde später die Tür öffnete, und bemerkte auch nicht, dass Cosimo ihr die Stiefel auszog und sie zudeckte. Eine Minute stand er da und betrachtete die Schlafende mit einem nachdenklichen Stirnrunzeln.
Meg Barratt hatte sich in dieser Nacht gut gehalten. Sie hatte weniger wilde Begeisterung gezeigt, als er das von Ana kannte, war aber gut mit ihrer Unruhe umgegangen. Er war sicher, dass sie in einer gefährlichen Lage nicht zusammenbrechen würde. Allerdings hatte sie einige lästige Skrupel. Ana hätte keinen Gedanken an das Schicksal des feindlichen Schiffes und seiner Mannschaft verschwendet. So wie er hätte sie nur an ihr Ziel gedacht. Das genau war ihr Feind, ein auszuschaltendes Ziel, und im Krieg war alles erlaubt.
Konnte man Meg Barratt dazu überreden, bei dem geplanten Unternehmen mitzuarbeiten? Es war klar, dass sie einige ungewöhnliche Eigenschaften besaß. Sie war keine langweilige unverheiratete junge Lady. Doch abgesehen davon war sie vor der unangenehmen Wirklichkeit des Krieges offensichtlich im Wesentlichen verschont geblieben. Konnte sie die Aufgabe eines Attentäters akzeptieren? Verstehen, wie notwendig sie war?
Er schürzte die Lippen. Er durfte nicht überstürzt handeln. Er musste vorsichtig ans Werk gehen, sich die Zeit nehmen, sie besser kennen zu lernen. Teuflischerweise hatte er allerdings keine Zeit. Seinem Plan nach würde er nicht länger als drei Tage in Sark bleiben, wo er wartete, ob es eventuell Nachrichten gab, die er an Admiral Nelsons Flotte weitergeben musste. Während dieser drei Tage hoffte er, entgegen aller Wahrscheinlichkeit, dass er etwas über Anas Schicksal in Erfahrung bringen konnte. Danach musste er dringend die Ausführung seiner Mission vorantreiben, egal was passierte.
6
Meg spürte den Schmerz zuerst nur vage und undeutlich, während sie allmählich erwachte. Sie lag ein paar Minuten mit geschlossenen Augen da und fühlte, wie erschöpft sie noch war und dass ihr Arm von unangenehmem Pochen erfüllt war. Die Ereignisse der Nacht kamen ihr sofort in Erinnerung, dazu aber noch das Gefühl, dass sie sich ebenso schlapp wie beim letzten Mal fühlte, als sie in dieser Koje erwacht war.
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