In Liebe verführt
Auf der Mary Rose unterwegs zu sein war wohl ihrer Gesundheit nicht ausgesprochen förderlich.
Schließlich öffnete sie die Augen. Nach der Helligkeit des Sonnenscheins draußen zu schließen musste es schon Vormittag sein. Nicht weiter verwunderlich, dass sie so lange geschlafen hatte, wenn man bedachte, was vergangene Nacht alles passiert war. Das Schiff schaukelte leicht. Sie lagen vor Anker. Als sie sich aufrichtete, konnte sie in der Ferne grüne Hügel erkennen. Die Luft roch aromatisch nach Seetang und Salz, und durch das Fenster konnte sie undeutlich Stimmen hören.
Land, dachte Meg und entwickelte durch diese Erkenntnis neuen Schwung. Sie krabbelte aus der Koje und stand auf, wobei sie ihren Arm behutsam vor der Brust hielt. Der Verband war blutbefleckt, aber die Blutung schien aufgehört zu haben. Das grüne Seidenkleid war vom Blut ruiniert und der Ärmel obendrein zerrissen. Nun ja, im Schrank hingen glücklicherweise noch andere Kleider.
Sie kniete sich auf die Bank am Fenster und lugte hinaus über einen schmalen Streifen Wasser zu einem Kai, wo Fischer ihre Netze flickten. Unweit des Kais hockten eine Hand voll kleiner Häuser, hinter denen sich ein grüner Hügel erhob. Eine schmale Karrenspur wand sich vom Dorf hügelan zur Anhöhe, wo sie gerade noch die Dächer von ein paar Häusern ausmachen konnte, die über die Hügelkuppe verteilt waren.
Heißes Wasser und dann Frühstück kamen ihr als bevorzugte Reihenfolge von Tagesordnungspunkten in den Sinn. Ohne große Erwartungen schaute sie in das winzige Bad und entdeckte dort zu ihrer großen Freude zwei dampfende Krüge mit Wasser, neben denen ein Stapel frischer Handtücher lag. Sie warf einen Blick auf die geschlossene Kajütentür, dann zuckte sie mit den Schultern und griff nach hinten, um das Kleid aufzuknöpfen. Das gelang mit einer Hand überhaupt nicht. Der andere Arm war steif und bis auf die Finger nicht zu gebrauchen.
Sie strengte sich mit wachsender Verzweiflung an, was aber nur dazu führte, dass durch eine unvorsichtige Streckbewegung die Wunde wieder aufriss. Absurderweise brachte sie das lediglich zu herzhaften Flüchen – nicht zu Tränen. Cosimos wohl bekanntes Klopfen ertönte, und genervt schnauzte sie:
»Ach, komm doch rein!«
Cosimo betrat mit Gus auf der Schulter den Raum. »Was in aller Welt machst du da? Du klingst wie ein schlechter Morgen im Staatsgefängnis!«
»Ich versuche, dieses verdammte Kleid mit einer Hand zu öffnen«, erklärte sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Und jetzt hat die Wunde angefangen, wieder zu bluten.«
»Warum um Himmels willen bist du denn damit nicht zu mir gekommen?«, fragte er ungeduldig. »Komm her.« Er stellte sich hinter sie, öffnete geschickt die Knöpfe und schob ihr das Kleid von den Schultern.
Seine Hand streifte Megs bloßen Rücken, und sie schloss die Augen, als eine Welle von unerwarteter und absolut störender Erregung sie überströmte. Er stand ihr so nah, dass sie spürte, wie sein Atem ihr Haar berührte. Das Kleid bauschte sich nun zu ihren Füßen.
Sie machte einen Schritt zur Seite und sagte mit abgewandtem Gesicht: »Danke, jetzt komme ich schon allein klar.«
»Bist du sicher?«, fragte er scheinbar unbeteiligt, was Meg keine Sekunde lang täuschen konnte. Er hatte diesen Moment der Berührung ebenfalls genossen. Sie war außerdem ganz sicher, dass ihm ihre Reaktion nicht entgangen war.
»Die Knöpfe an meinem Unterhemd befinden sich auf der Vorderseite«, informierte sie ihn lakonisch.
»Aha. Wie schade.« Cosimo hob die Augenbrauen. Er trat hinter sie, streckte eine Hand über ihre Schulter und griff nach ihrem Kinn, das er mit den Fingerspitzen zur Seite drehte, so dass er ihr Profil sah. Für einen flüchtigen Moment streiften seine Lippen ihren Mundwinkel. »Bist du ganz sicher, dass ich dir nicht helfen kann?«
»Ganz sicher.« Meg gab sich nicht die Mühe, so zu tun, als verärgere sie seine Intimität. Sie begann sich langsam an Cosimo zu gewöhnen, selbst wenn sie nach wie vor nicht wirklich verstand, was er damit bezweckte. Auf jeden Fall war sie ganz sicher, dass erst dann diese Anziehung zwischen ihnen zu mehr führen würde, wenn sie sich dazu entschied und wenn sie beschlossen hatte, wie ihre Begegnung ablaufen sollte. Und das würde auf keinen Fall geschehen, solange sie nicht wusste, wie ihre Lage aussah, und sie keine Möglichkeit gefunden hatte, nach England zurückzukehren. Ganz abgesehen davon konnte sie sich angesichts ihres
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