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In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)

In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)

Titel: In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Kristensen
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in die Stiefel trat, doch sie hatten längst gesehen, dass an seinem linken Fuß zwei Zehen fehlten. Deshalb hinkte er. Knut meinte, man würde es kaum bemerken. Er hatte die Zehen bei einer Scooterfahrt verloren, die in einer Gletscherspalte endete. Knut redete nie über dieses katastrophale erste Jahr auf Spitzbergen.
    Der Aufstieg über die Treppen ging quälend langsam. Die Frauen mussten ihn beinahe zwischen sich tragen, und er merkte, dass sie sich bemühten, vorsichtig mit ihren hübschen Trachten umzugehen. Beide hatten sich in ihre Kolotjoska-Jacken eingewickelt und achteten darauf, dass seine stolpernden Schritte ihren Rocksäumen nicht zu nahe kamen.
    Sie näherten sich dem Platz und hatten nur noch wenige Stufen zu bewältigen, als eine dunkle Gestalt auf sie zurannte. Der Dolmetscher. Sein Gesicht war rot vor Wut.
    »Polizeibeamter Fjeld, was habe ich Ihnen gesagt. Sie hätten nicht allein gehen dürfen. Sie kennen die Randbezirke von Barentsburg nicht. Sind Sie gestolpert? Na, was ist passiert?« Er bemerkte die nasse Kleidung. »Sind Sie unten am Kai gewesen? Was haben Sie da gemacht?«
    »Seien Sie so nett und danken den beiden Frauen in meinem Namen. Ohne ihre Hilfe hätte ich wahrscheinlich nicht überlebt. Außerdem tut es mir leid, dass ich ihre hübschen Trachten mit all dem Salzwasser nass gemacht habe«, sagte Knut formell.
    Der Dolmetscher schob die Frauen beiseite und griff Knut selbst unter die Arme. »Wir müssen trockene Sachen für Sie besorgen. Sie können etwas von mir bekommen.«
    Der Dolmetscher wohnte im ersten Stock eines Mietshauses, das unweit der Hauptstraße am oberen Ende der Siedlung stand. Aus einem der Fenster konnte er bis auf den Platz sehen. Aus dem anderen hatte er eine unglaubliche Aussicht über den Fjord und die Berge auf der anderen Uferseite. Stolz zeigte er Knut sein Bett, das auch als Sofa diente. Mit Kissen verziert. Eine handgewebte Decke mit bunten Mustern lag über dem Bettzeug. Am Wohnzimmertisch standen zwei zerschlissene Sessel mit grünem Veloursbezug – Hinterlassenschaften aus dem Büro des Konsuls? Auf dem Tisch ein brodiertes Deckchen und eine Grünpflanze in einem kleinen Porzellantöpfchen mit abgeblättertem Golddekor.
    Die Sachen, die der Dolmetscher ihm gab, waren … Knut fehlten die Worte. Russisch? Volkstümlich? Solche Unterhosen hatte er nicht mehr gesehen, seit sein Großvater vor vielen Jahren gestorben war. Ein ärmelloser Baumwollpullunder. Ein weißes Nylonhemd mit dünnen hellblauen Streifen. Weite Hosen mit hohem Bund, Knut musste sich einen Gürtel leihen und fühlte sich sonderbar. Als würde er in dieser Kleidung zu einem anderen Menschen. Lange graue Strümpfe. Nur die Schuhe blieben ein Problem. Es war klar, dass der Dolmetscher ihm auf keinen Fall seine eleganten, blank geputzten Stiefel leihen würde. Im Moment trug er ein anderes, gröberes Paar, das aussah wie ein Paar abgetragene Grubenstiefel – seine Alltagsschuhe. Außerdem hatte der Dolmetscher kleinere Füße als Knut, der Schuhgröße 45 benötigte. Der Dolmetscher verließ die Wohnung, um sich von einem Nachbarn ein Paar Stiefel zu leihen.
    Knut setzte sich in einen der Sessel und blickte über den Fjord. Längst war es dunkel geworden. Der Himmel bedeckt. Läge auf der Erde nicht Schnee und wäre das Meer nicht eisfrei gewesen, hätte Knut nicht sehen können, wie weit es bis zum Ufer war.
    Er beugte sich vor und sah durch das Fenster ein Stück vom Kai. Die Schiffe lagen noch immer dort, an Deck nur das schwache blaue Licht. Kein Zeichen irgendeiner Mannschaft. Er konnte Tom nicht viel berichten, außer dass er über Bord gefallen war. Er hatte keine Antwort auf irgendeine Frage – warum lagen die Schiffe hier, worauf warteten sie? Es war kaum denkbar, dass beide Kutter gleichzeitig einen Motorschaden hatten – und wenn es doch der Fall sein sollte, dann wären doch sicherlich Menschen an Bord, um den Schaden zu reparieren?
    Knut dachte an die letzten Sekunden, bevor er über Bord fiel. War noch jemand an Bord gewesen, oder bildete er sich nur ein, gestoßen worden zu sein? Er hatte niemanden gehört, erinnerte sich kaum an die Minuten im eiskalten Wasser und wusste nicht, woher er die Kräfte genommen hatte, sich an der untersten Stufe der Jakobsleiter hochzuziehen. Ein erschreckender Gedanke, dass jemand im Schatten des Ruderhauses gestanden und zugesehen hatte, wie er um sein Leben kämpfte.
    Vergnügt kam der Dolmetscher mit einem Paar enormer, häufig

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