In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)
Lippen zusammen. »Einfluss, habe ich das nicht gesagt? Der Verwandte eines Grubenarbeiters benötigt vielleicht einen Job auf dem Festland, ein anderer möchte seinen Vertrag mit der Betreibergesellschaft lösen. Familien mit Kindern brauchen hier in Barentsburg mehr Lebensmittel, mehr Platz. Kleine Dinge, die für die Menschen aber wichtig sind.«
»Und Ljudmila …?«
»Sie und Vanja kamen ungefähr zur gleichen Zeit hierher, vor elf Jahren. Sie hat sich gute Kontakte nach Longyearbyen verschafft, ihr werden Dinge verkauft, die Frauen gefallen – schöne Unterwäsche, Cremes, Schminke. Wer sich Ljudmila widersetzt, wird schnell merken, wie schwer solche Dinge zu beschaffen sind.«
»Und die Männer, wie verschaffen die sich Einfluss?«
Einen Moment zog sie ein betrübtes Gesicht. »Sie haben keinen, jedenfalls die meisten von ihnen. Nur Vanja …«
»Es heißt, jemand würde von Barentsburg aus Schmuggel organisieren. War es Vanja …«
»Nein, nein, Sie missverstehen mich. Vanja hatte nichts zu tun mit dem … Tauschhandel. Er war ein prinzipienfester Mann, versorgte sich nicht einmal mit den Kleidungsstücken der Zeche, wie alle anderen. Alles, worum es ihm ging, war das Wohlergehen der Arbeiter … und von Ljudmila.«
Knut war so sicher gewesen, dass sie Oksana sagen würde. Es verschlug ihm die Sprache. Krampfhaft suchte er nach den richtigen Fragen. Schließlich sah er keine andere Möglichkeit, als direkt nachzufragen: »Sie meinen Oksana Aleksandrovna, seine Frau?«
Ihr Mund verzog sich zu einer herablassenden Grimasse. »Nein, ich meine Ljudmila. Sie waren seit ihrer Kindheit befreundet. Sind zusammen zur Schule gegangen. Laut Ljuda dachten beide Familien, dass sie später heiraten würden. Aber dann arbeitete Vanja in den Zasyadko-Minen, und sie verloren sich aus den Augen … und später passierte etwas direkt neben der Stadt, in der sie lebten … etwas Fürchterliches. Vanja wurde da irgendwie mit hineingezogen. Sie hatten sich viele Jahre nicht gesehen, vielleicht hatten sie sich verändert, was weiß ich. Aus einer Heirat zwischen den beiden wurde jedenfalls nichts.« Sie wendete den Blick ab.
Dies könnte das Eifersuchtsmotiv sein , dachte Knut.
»Und was ist mit seiner Frau?«
Jekaterinas Gesichtsausdruck wurde abweisend. »Ljudmila kannte Oksana Aleksandrovna, bevor sie nach Spitzbergen kam, sie kannte sie schon als Kind …«
»Ich sah sie gestern Abend in der Kapelle an Vanjas Sarg sitzen.«
»Ljudmila und Oksana?« Jekaterina sah Knut an, zweifelnd.
»Sie weinten gemeinsam. Sah aus, als wären sie schon eine Weile dort gewesen.«
»Ja, vielleicht.«
Er müsste Jekaterina nach Oksanas früherem Namen fragen. Nach der komplizierten russischen Namenstradition könnte der Vorname ihres biologischen Vaters Aleksander gewesen sein, da sie Aleksandrovna als Mittelnamen führte. Leider war der Mittelname keine Hilfe, wenn er etwas über den Brand und den Tod von Oksanas Familie herausfinden wollte. Er musste den Nachnamen wissen.
Jekaterina hatte sich vorgebeugt. Noch bevor er etwas sagen konnte, hatte sie seine gesunde Hand ergriffen. Ihr Gesicht legte sich in tiefbesorgte Falten. »Sie sollten nicht hier in Barentsburg bleiben, wieso sind Sie nicht nach Longyearbyen zurückgefahren? Vanja ist tot, niemand kann ihn ins Leben zurückholen. Hoffen wir, dass es damit endet, aber ich weiß es nicht. Lassen Sie Oksana in Ruhe …« Sie brach ab. Ljudmila stand in der Tür.
Sie bestanden darauf, dass Knut etwas von dem Essen zu sich nahm, das Ljudmila mitgebracht hatte, bevor er irgendwo hinging. Aus einer großen Tasche holte sie drei Becher, eine alte Thermoskanne aus Aluminium, Schüsseln und Gläser mit eingelegten Eiern, Gurken und kleinen Zwiebeln. Ljudmila packte ein Brot und ein Stück Schinken aus. Knut spürte einen quälenden, hemmungslosen Hunger und wandte den Blick nicht von den Lebensmitteln ab, die Ljudmila auf dem Tisch verteilte.
»Ich war im Pomor-Museum. Wie ich’s mir dachte, es gab Licht. Aber jemand hat den Schalter an der Wand überklebt.« Ihr Gesicht war blass, die Augen rot und geschwollen. »Sie haben im Museum niemanden gesehen, Polizeibeamter Fjeld?«
Nein, Knut hatte niemanden gesehen. Er schüttelte den Kopf. Er musste ihnen nicht erzählen, dass er das Gefühl gehabt hatte, nicht allein gewesen zu sein.
»Ich habe auch gefunden, woran Sie sich geschnitten haben«, fuhr sie fort. »Im inneren Saal, wo die Sachen aus dem Zweiten Weltkrieg ausgestellt
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