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In meinem kleinen Land

In meinem kleinen Land

Titel: In meinem kleinen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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produziert, um die Leute hier in Atem zu halten. Sonst gibt es keine Aufregung.
    Fährt man auf Brake zu, glaubt man, ein Plattencover von Pink Floyd anzusehen. Scheinbar mitten im Ort erheben sich riesige graue Silos aus Beton, bald hundert Meter breit und von bis zu neunzig Metern Höhe. Den surrealen Anblick komplettiert ein monumentaler brauner Anker, der über den Häusern zu schweben scheint. Tatsächlich handelt es sich dabei um die Verzierung eines postmodernen Kirchturms.
    Brake hätte mal was Großes werden können, es war darauf vorbereitet und hat wohl damit gerechnet, der Hafen von Bremen zu werden. Im achtzehnten Jahrhundert nämlich kamen die Schiffe nicht weiter als bis nach Brake die Weser hinauf. Ganz bis Bremen war es zu gefährlich, wegen der Sandbänke. Also mussten die Bremer Kaufleute ihre Waren in Brake umladen. Auf der Liste der eingeführten Güter standen «Tabak von Bahia, New Orleans und Baranquilla, Baumwolle, Naphtha und Terpentinöl. Steinkohlen und Koks, Steine und Ton, China Clay und Flints, Asphalt und Harz, Teer und Pech, Hanf und Leinsaat, amerikanische Reisstärke, Korkholz, Wein in ganzen Ladungen von Bordeaux, Honig und Rum, Bauholz von Norwegen und der Ostsee, Nuß- und Farbhölzer (Zedern-, Mahagoni- und Gelbholz), Chemikalien als Soda, Chlorkalk usw.; Rohkupfer, Zement, Roheisen, Schiffsbaueisen, Platten und Winkel, Anker und Ketten, schwedisches Stangeneisen, Schwefel, Schiefer, Sumach, Cochenille und Querzitron, trockene und gesalzene Häute, Speck in Kisten, Schmalz, Eis und Getreide (Roggen/Weizen) aus Sankt Petersburg und den deutschen Ostseehäfen», wie ich in einer Broschüre nachschlage.
    Auch die deutsche Flotte unter dem ebenso legendären wie glücklosen Admiral Brommy lagerte in Brake. Der Ort entwickelte sich so lange, bis der Hafen in Bremerhaven und die bremischen Freihäfen fertiggestellt und Brake nicht mehr gebraucht wurde. Heute leben in Brake ungefähr 17   000 Menschen. Geblieben sind ihnen aus der Zeit des Aufschwungs ein relativer Reichtum, herrliche, strahlend weiße Bürgerhäuser, Platanen und Promenaden. Gegenüber liegt Harriersand, eine zauberhafte kilometerlange Weserinsel mit einem Strandbad aus den zwanziger Jahren.
    Alles sehr beschaulich. Deutsche Idylle. Ahh!! Mein Zimmer hat ein Fenster zur Weser, die sich vor Brake breitmacht wie ein dicker Kapitän im Ohrensessel. Eines jedoch irritiert. In welche Richtung fließt dieser Fluss eigentlich? Er fließt momentan nämlich keineswegs Richtung Nordsee, sondern nach Bremen. Was ist denn das für ein seltsamer Strom? Ich gehe spazieren. Kurz vor der Lesung betrete ich mein Zimmer, um mein Lesemanuskript zu holen, und sehe sicherheitshalber noch einmal hinaus. Nun fließt der Fluss nicht mehr nach Bremen. Genaugenommen fließt er überhaupt nicht mehr. Keinerlei Bewegung. Die Weser ist ein See.
    Lesung heute Abend im Alten Fischerhaus. Das ist eines der ältesten Gebäude von Brake und Sitz des Heimatvereins. Es wurde 1731 gebaut, und man kann sich dort doll die Birne an den Türrahmen stoßen.

    Die Dame vom Hotel hat mir für das Frühstück einen Tisch mit Blick auf die Weser reserviert. Die fließt nun endlich Richtung Meer. Das beruhigt mich enorm.

Itzehoe. An evening with Fozzi-Bär
    10. Mai 2006
    Man erwartet ja von deutschen Städten im Allgemeinen nicht viel. Ab einer gewissen Größe, gut: Dann kann man mit U-Bahnen rechnen, mit Zoos, Flughäfen oder homosexuellen Oberbürgermeistern.
    Je kleiner eine Stadt ist, desto geringer fällt die Erwartungshaltung aus. Da ist man dann oft überrascht über die schiere Schönheit eines Ortes. Hier oben im Norden sehr schön: Lüneburg, Oldenburg, Lübeck. Und so freue ich mich auch auf Itzehoe, das von Hamburg aus in nicht einmal einer Stunde mit der Nord-Ostsee-Bahn über Elmshorn und Glückstadt problemlos zu erreichen ist.

    In meinem Hotelzimmer begrüßt mich vor dem Fenster ein unförmiger großer Fleck auf dem Teppich. Ich überprüfe die Laufwege und stelle fest, dass ich durch diesen beigen Fleck muss, wenn ich morgens barfuß ins Bad will. Woher dieser Fleck wohl rührt? Erbsensuppe? Aber wer isst schon Erbsensuppe auf seinem Hotelzimmer. Ich tippe eher auf Erbsensuppe, sechs Bier, vier Schnäpse und eine Packung Zigaretten. Ich verlange augenblicklich ein anderes Zimmer und bekomme auch eines. Es erweist sich als vollkommen identisch, alles ist auf den Zentimeter genau an der gleichen Stelle. Ein genormtes Hotelzimmer. Lediglich

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