In meinem kleinen Land
Rückweg durch die aufgerissene Fußgängerzone. Man kommt da an der Gaststätte «Klötzer’s» vorbei. Und was steht dort auf der Tageskarte? Genau: «Seezungenröllchen Kardinal.» Kling voll krass eklig.
Am nächsten Tag bin ich wieder zu Hause. Auf einer Reise von Bielefeld zu meinem kleinen Wohnort benutzt man fast alle Verkehrsmittel, die es so gibt: Regionalbahn, Bus, Flugzeug, S-Bahn, Auto. Dauert sechs Stunden. Abends sehe ich mir das «heute journal» mit der sehr angenehmen Marietta Slomka an. Und sie vermag es, dieses verregnete Wochenende zu retten. In ihrer Anmoderation zu einem Beitrag über Gerhard Schröders allmählich schwächelnde Ansprüche an das Kanzleramt vergleicht sie das Taktieren der Parteien mit einer Partie Mikado. Schröder habe nun also im Lauf des Tages sichtbar ein Hölzchen bewegt. Und dann sagt Frau Slomka: «Später schob Müntefering Schröders Stäbchen wieder zurück.» Mann, hat der Schröder es gut. Hat einen, der ihm das Stäbchen zurückschiebt.
Bamberg. Besucher und Krabben aus Fernost
4. Oktober 2005
Zu den schönsten der vielen wunderbaren Eindrücke, die man beim Reisen gewinnt, gehört das Ankommen in einer fremden Sprache. Man überwindet innerhalb kurzer Zeit den eigenen Sprachhorizont, indem man ein Flugzeug besteigt, und am Ziel sprechen alle um einen herum plötzlich Portugiesisch oder Dänisch, als seien sie verzaubert.
Für diesen entzückenden Effekt muss man aber gar nicht unbedingt fliegen. Schon zweihundert Kilometer nördlich von München gestaltet sich die Verständigung ähnlich mühselig wie in Dubai. Man besteigt in München den Zug und verlässt ihn in Bamberg, setzt sich ins Taxi, nennt als Fahrziel den «Bamberger Hof» und stellt überrascht fest, dass die Taxifahrerin in einer gurgelnden Lautsprache antwortet, in der D’s und R’s wichtige Funktionen übernehmen. Ich höre genau zu, aber das meiste entgeht mir. Ich verstehe immerhin, dass sie mit «Gudd» fahren müsse, weil sie sonst im «Audo» hin und her «schaugld». Das is also Frangn, da reden die alle so. Oder jedenfalls so ähnlich.
Von Bamberg weiß ich auch wieder nur erschütternd wenig. Irgendwie sind alle Eindrücke, die ich bisher von dieser Stadt hatte, von gemütlicher Art. Denn erstens hat hier Günther Strack mal eine Serie gedreht, und zweitens gibt es eine überaus wohlschmeckende Kartoffelsorte, die «Bamberger Hörnchen» heißt. Bei Bamberg denke ich an Frankenwein in Bocksbeuteln und Rokoko und Übergewicht.
Bamberg ist klein, ich habe es mir jedenfalls größer vorgestellt. Aber Münster und Lübeck habe ich mir kleiner vorgestellt, und so ist alles wieder im Lot. Jedenfalls hat Bamberg bloß um die 70 000 Einwohner und fast ebenso viele Kirchen. Ich rate zu einem Besuch der Oberen Pfarre, die viel barocker und hübscher ist als der Dom, auch wenn es dort Häupter von Heiligen und den berühmten Reiter zu sehen gibt, von dem man angeblich nicht weiß, wen er darstellen soll. Als Protestant kann man beim Besuch einer katholischen Kirche schon neidisch werden. Es gibt unglaublich viel zu sehen, und man wird hervorragend von langweiligen Gottesdiensten abgelenkt, indem man sich von Pfeilen durchbohrte Heilige und Bilder von der wundersamen Brotvermehrung ansieht. Die meisten protestantischen Kirchen bieten kaum geistige Fluchtwege. Man könnte auch sagen: Bei den Evangelischen gibt es Wahrheiten, bei den Katholischen Leidenschaft. Die Entscheidung für das eine oder andere ist am Ende wohl Geschmackssache.
Bamberg ist natürlich auch wieder zum Sterben schön, es teilt sich in drei wesentliche Stadtteile, und wer über die Obere Brücke durch das auf Wasser gebaute Rathaus wandert, gelangt von der bürgerlichen in die kirchliche Stadt. Alles in diesem Weltkulturerbe ist so niedlich und schützenswert – und zwar mitsamt seinem Dialekt und den Studentinnen –, dass man die vielen Japaner für jedes Foto umarmen möchte, das sie davon machen. Es ist ein Glück, dass hier überall Gäste aus Fernost herumrennen und begeistert auf den Rettich in der Auslage des Gemüsefachhandels zeigen, denn ohne Touristen hätten die Geschäfte im Inneren von Bamberg wahrscheinlich ein Problem. Das Weltkulturerbe und der Denkmalschutz sind nämlich gleichzeitig Segen und Fluch für die Bamberger. Die können in der ganzen Innenstadt wenig verändern, kaum etwas Neues entsteht. Und wenn, dann nur unter erheblichen Auflagen. Das hat den Stadtkern zwar von den vielen blöden
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