In meinem kleinen Land
Ladenketten freigehalten, aber das ist ein Pyrrhussieg, denn etwas außerhalb der Stadt hat sich dafür das drittgrößte Gewerbegebiet Deutschlands ausgebreitet. Da sind sie alle, die Ketten und die Bamberger, die zum Einkaufen eher selten in ihre schönen Innenstadtgeschäfte gehen. Wie man’s macht, macht man’s verkehrt.
Ich kann nicht immer bloß in Kirchen gehen, ich muss auch mal ins Museum. Ich lande auf meinem Spaziergang im Naturkundemuseum, das ich dringend empfehle, und zwar unter anderem, weil dort keine Touristen sind, die begeistert irgendwo draufzeigen. Das einzige Geschöpf eindeutig japanischer Herkunft in diesem Museum ist eine Riesenkrabbe, die mir fürchterliche Angst einjagt. Die japanische Riesenkrabbe hat knapp sechzig Zentimeter lange Beine und einen fast runden Körper. Sie sieht aus wie das Alien, das im ersten Teil der Science-Fiction-Filmreihe auf dem Gesicht des Astronauten sitzt. Bloß viel, viel größer. Zum Glück lebt sie in dreihundert Meter Meerestiefe und in einer Weltgegend, in der ich mich schon ihretwegen nicht so schnell blicken lassen werde.
Die eigentliche Weltklasse-Attraktion des Bamberger Naturkundemuseums sind nicht Krabben, Wachsbirnen und Insekten, sondern es ist ein klassizistischer Saal voller ausgestopfter Vögel. Dort gibt es nahezu alle Vögel der Welt, jedenfalls hat man den Eindruck. Es ist ein gefiedertes Gewimmel sonderbarer Art, denn die Vögel stehen zu Tausenden in allen Größen dicht an dicht in Vitrinen und auf Schränken, die Präsentation lässt eher an ein Archiv denken als an ein Museum, eher an Forschung als an Ausstellung, und tatsächlich war das mal ein Lehrsaal.
Auch ein Vogel Strauß findet sich hier: Himmel, sind diese Dinger groß! Und mehrere Nimmersatte. Der Nimmersatt ist eine Storchenart, und es gibt ihn in Amerika und Afrika. Ich bin nicht sicher, ob ich schon einmal einen schöneren Ausstellungsraum gesehen habe.
Nach der Lesung gehe ich mit dem Buchhändler etwas essen. Nur eine regionale Kleinigkeit, dazu gibt es echtes Bamberger Rauchbier, was selbst für einen erfahrenen Biertrinker wie mich eine sehr spezielle Erfahrung darstellt. Ich kann nicht sagen, dass das Zeug nicht schmeckt. Nur: Wonach schmeckt es eigentlich? Es kommt mir vor, als habe ein Schwarzwälder Schinken seinen Aggregatzustand geändert und würde nicht mehr gegessen, sondern getrunken. Das zweite Glas geht schon viel besser.
Erfurt. Die Menschwerdung der Pilze
5. Oktober 2005
Ist Ihnen auch schon einmal aufgefallen, dass Pilzsucher über Pilze sprechen, als seien sie gute Freunde oder wenigstens rechtschaffene Mitmenschen? Ich habe mir in Bamberg ein Buch gekauft, um diese These zu überprüfen. Sie stimmt. Über den sparrigen Schüppling heißt es beispielsweise, er sei ungenießbar. Dasselbe gilt für meinen Freund Markus auch hin und wieder. Der Rettich-Helmling hingegen ist «einzeln bis gesellig», genau wie ich. Andere Pilze sind «warzig gegürtelt», was ich im Zivildienst auch bei älteren Mitbürgern festgestellt habe oder auch, wie der Mehl-Räsling, «oft exzentrisch stehend».
Noch bezaubernder als die Beschreibungen der Eigenschaften der Pilze sind eigentlich nur noch ihre Namen. Die deutsche Sprache hat meiner Meinung nach nur wenig Poetischeres hervorgebracht als den «blaugestiefelten Schleimfuß». (essbar), den «milden Milchling». (auch essbar), den «spitzbuckligen Schirmling». (angeblich lecker), den «ansehnlichen Scheidling». (schmackofatz!), den «grünblättrigen Schwefelkopf». (Finger weg!) und den «Buchen-Spei-Täubling». (Gefahr).
Ein ansehnlicher Scheidling in Bahnuniform informiert mich freudestrahlend, dass wir den Anschluss nach Erfurt noch erreichen, da der ICE PLANMÄSSIG in Saalfeld zu halten gedenkt. Das ist doch toll. Früher wurde man informiert, wenn der Zug nicht pünktlich war.
Erfurt bekommt einen neuen, superschicken Bahnhof, weshalb überall Umleitungen eingerichtet und Bretterwände aufgestellt wurden. Die labyrinthische Baustelle ist das reinste Stolperfeld und war im vergangenen Jahr bei meinem letzten Besuch auch schon da. Allein durch die Dauer der Renovierung lastet ein gewisser Erwartungsdruck auf der Bahn. Das muss nun schon etwas ganz Tolles werden.
Heute also zum zweiten Mal «Buchhandlung Peterknecht», ein Traditionshaus, das es schon vor dem Sozialismus gab und erfreulicherweise auch danach noch gibt. Vor meinem ersten Besuch im vergangenen Jahr hatte ich Wessi-Ängste. Ich
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