Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In meinem kleinen Land

In meinem kleinen Land

Titel: In meinem kleinen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
Vom Netzwerk:
Lehrgang beim Dettmar Cramer musste, es dort «Pendel ohne Ende» gegeben hätte, und damit hätte er trainiert. Und nicht nur Kopfbälle. Und überhaupt: Heute würden manche dieser jungen Burschen eine Million Euro verdienen und denken, dass sie schon deswegen auch Kopfbälle könnten. Könnten sie aber trotzdem nicht. Da ist der Mann zufrieden. Alle klatschen. Uwe lässt den Dampf aus den Backen und lächelt zufrieden in die Runde.

Celle. OPEN END 1 . Lesen Sie diesen Text, solange Sie möchten
    1. November 2005
    In Celle ist Halloween. Heute sagen die Kinder an den Haustüren: «Süßes oder Saures!» Als ich klein war, gab es noch gar kein Halloween, nur Sankt Martin. Ich habe mich das ganze Jahr hindurch darauf gefreut. Bei uns am Niederrhein gab es für jedes Kind eine weiße Papiertüte mit Henkeln. Darin war ein Weckmann, so ein Bursche aus Rosinenstutenteig mit einer weißen Keramikpfeife. Und eine Mandarine und Süßigkeiten.
    Wenn es dunkel wurde, gingen wir zum Martinsfeuer. Dann kam der Sankt Martin angeritten, teilte mit einem blitzenden Schwert seinen in Wahrheit aus zwei Teilen bestehenden Mantel und gab ihn dem Bettler, der jahrelang vom Hausmeister der Grundschule dargestellt werden musste. Der brauchte praktisch gar keine Verkleidung für diese Rolle. Dann sahen wir ins Feuer, und hinterher gingen wir los, um an den Haustüren der Nachbarschaft zu singen. «Ich geh mit meiner Laterne.» «Sankt Martin.» Ich habe das geliebt.
    Bei manchen Leuten bekamen wir tolle Süßigkeiten, manchmal aber auch Mandarinen und bei den Geizhälsen knallharte polnische Bonbons, die wir anschließend gegen die Garagentore pfefferten. Meine Mutter buk sogar kleine Pfannkuchen für die singenden Kinder, damit sie etwas Warmes bekamen. Dutzende leuchtende Laternen zitterten durch unsere Nachbarschaft. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite im Halbdunkel gingen meistens irgendwelche Väter mit. Nur so. Zur Sicherheit vielleicht. Manche Nachbarn öffneten nie die Tür. Die machten nicht mit. Stellten sogar die Haustürklingel ab. Scheiß Bettelei! Aber die meisten gaben uns etwas. Später am Abend schüttete ich das alles auf dem Boden meines Zimmers aus und sortierte die Beute aus zerbrochenem Spekulatius, Nüssen, Maoam, selbstgebackenen Plätzchen und Schokoriegeln. Bounty mochte ich nicht, das tauschte ich bei meinem Bruder in Banjo ein. Das ist lange her. Banjo gibt es wohl gar nicht mehr. Und Sankt Martin auch nicht, jedenfalls nicht in meinem Heimatort.
    Auf jeden Fall hat die Popularisierung von Halloween auch den Kürbis wieder ganz nach vorne gebracht. Der war ja jahrzehntelang vergessen, würde ich sagen. Kürbisse waren ein Vergnügen für Omis, die diese würfelweise aus dem Glas aßen. Aber inzwischen kann man im Herbst kein Lokal mehr betreten, ohne dass es dort Kürbis-Karotten-Suppe oder Kürbiscremesuppe gibt. Übrigens neuerdings immer mit einem kleinen Schuss Kernöl. Kernöl is the new Zitronengras.

    Celle ist ein Örtchen, zu dem Sankt Martin gut passt. Es ist so herzöglich, so ritterlich, so entzückend niedlich. Hier gibt es Bäckereien mit goldenen Brezelschildern an der Fachwerkfassade. Die ganze Innenstadt sieht aus, als habe ein genialer Wissenschaftler eine Modelleisenbahnsiedlung vergrößert und zum Leben erweckt. Es gibt noch richtigen echten Einzelhandel und ein Kino, das nicht zu einer doofen Kette gehört. Außerdem verfügt die Stadt über ein entzückendes Rathaus, mehrere gemütliche Plätze und ausgezeichnete Pommes frites. Nur WLAN-Hotspots sind Mangelware. Ansonsten aber hat Celle eine Menge von dem, was Hannover fehlt.
    Mir fehlt auch etwas, nämlich meine Stimme. Weg. Ich habe Schmerzen und Befürchtungen: Diese Stimme kann man niemandem anbieten.
    Also gehe ich zu einem original Celler HNO-Arzt, und dieser untersucht mich ausführlich, indem er mir zunächst einmal Ohrenschmalz entfernt. Dann sieht er in meinen Hals, und der Befund klingt nicht gut. Die Stimmbänder ermüdet, eine leichte Rötung. Schonung wäre angesagt. Er wollte mir keine Kortisonspritze geben und Antibiotika auch nicht, das hätte jetzt keinen Sinn.
    Der Umstand, dass ich privat versichert bin, spornt ihn zum Einsatz sämtlicher Apparate in seiner Praxis an. Ich erhalte eine Wärmebestrahlung und muss inhalieren, absolviere auch noch einen Hörtest, der aber weder mich noch ihn weiterbringt. Behaupte ich mal so. Schließlich pinselt er noch meinen Hals mit einer Jodtinktur ein, was außer ihm kein

Weitere Kostenlose Bücher