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In meinem kleinen Land

In meinem kleinen Land

Titel: In meinem kleinen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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europäischer Arzt mehr macht. Und er rät mir dringend, meine Nase stationär richten zu lassen, denn die Scheidewand sei schief, und ich bekäme deswegen zu wenig Luft. Könne er machen.
    Er verschreibt mir auch etwas und will mich am nächsten Morgen noch einmal sehen. «Tschüs», krächze ich und gehe mit übler Laune ins Hotel, das ich nach meiner Ankunft sofort in «Celler Loch» umgetauft habe. Nur eines bringt meine Stimmung für einen kurzen Moment nach oben. Vor einem Sonnenstudio entdecke ich ein Schild, auf dem steht: «OPEN END* – Bräunen Sie für €   4 –, solange Sie möchten!» Und darunter steht ein Pfeil nach links, Richtung Eingang. In dem Pfeil steht ganz klein: «* max. 30 Min.».

    Ich bin ganz froh, dass der Veranstalter eine Pause vorgesehen hat, so kann ich etwas verschnaufen. Nach der Pause Fragen aus dem Publikum. Normalerweise mag ich das nicht so. Aber heute bin ich froh um jede Minute, die ich nicht selber etwas sagen muss. Keine Ahnung warum, aber die Stimme wird mit der Zeit besser. Das verstehe, wer will.

    Die Einladung des Moderators, noch in ein Lokal mitzukommen, das «Schweine-Schulze» heiße und «echt Kult» sei, lehne ich dankend ab. Ich hole mir noch was vom Chinesen, das Glutamat wird mir bestimmt guttun.

Braunschweig. Wer Braunkohl hat, braucht keine Türme
    2. November 2005
    Trompetenfanfaren wecken mich. Wo bin ich? Bin ich tot? Ist das Jericho? Kommen die Celler, um mich wegen der gestrigen Darbietung zu enthaupten? Nein, das alles nicht. Unten auf dem historischen Marktplatz vor dem Fenster des Celler Lochs beginnt bloß der Markt, und das wird hier auf traditionelle Art betrompetet.

    Vor dem Spiegel sage ich «Guten Morgen», aber leider kommt kein Geräusch aus dem Hals. Ich kann natürlich bis Weihnachten meine Texte pantomimisch vortragen. Ich schminke mir das Gesicht weiß, setze einen lustigen Hut auf und ziehe einen superengen schwarzen Ballettoverall an, den ich bemale, damit er wie ein Frack aussieht. Und ich stecke mir eine rote Rose an. Mein Gott, wird das toll! Hm. Oder sie werden mich schon heute in Braunschweig teeren und federn und aus der Stadt jagen. Ich gehe lieber noch einmal zum Arzt.
    Die Celler HNO-Kapazität mit den vielen Gerätschaften untersucht mich ein zweites Mal. Mein Kehlkopf wird wieder mit Wärme bestrahlt, und ich inhaliere für zehn Minuten an einem Gerät, das nach Gebissreiniger riecht. Erstaunlicherweise geht es mir danach besser, und der Arzt wünscht mir viel Glück und ermahnt mich, den ganzen Tag über nicht zu sprechen. Ganz stumm setze ich mich in den Zug ins eineinhalb Stunden entfernte Braunschweig.

    Meine Kenntnisse der Stadt Braunschweig beschränken sich darauf, dass Axel Hacke, Heinrich der Löwe sowie mein Freund Hans-Georg aus dieser Stadt kommen. Und eine Fußballmannschaft namens Eintracht Braunschweig. Das war meines Wissens das erste Team im bezahlten deutschen Fußball, das Werbung auf dem Trikot hatte, nämlich von Jägermeister. Das war damals in den siebziger Jahren ein heikles Thema. Es gab eine Art Likör-Abramowitsch namens Günter Mast. Das war der Jägermeistermann. Er veränderte als Sponsor sogar das Vereinswappen der Eintracht, aus dem der Löwe verschwand und durch einen Hirschen ersetzt wurde. Mast durfte als erster Unternehmer in Deutschland einen Werbeschriftzug auf ein Fußballtrikot drucken lassen.
    Früher war Jägermeister für uns das Letzte. Wir nannten es «Hochsitzcola» und «Hörnerwhisky», und es war ein Symbol für alles Gestrige und Abscheuliche in der Bundesrepublik. Jägermeister war reaktionär, Kalter Krieg und ungefähr so uncool wie Mecki, der «Hör zu»-Igel. Inzwischen gilt dieser Kräuterlikör auch bei Menschen meines Schlages als durchaus trinkbar. So ändern sich die Zeiten. Springer will auch keiner mehr enteignen.

    Braunschweig sieht auf den ersten Blick aus, wie man sich eine osteuropäische Metropole, sagen wir mal, Tirana, vorstellt. Der eigentlich schöne Hauptbahnhof mit der großen Glasfassade aus den sechziger Jahren entlässt die Fahrgäste auf einen windigen Platz mit einer enorm breiten Straße, auf der jeden Moment eine Militärparade beginnen könnte. Auch die umliegenden Hochhäuser vermitteln einen leicht angegammelten Plattenbaucharme. Davon darf man sich aber keinesfalls abschrecken lassen, denn Braunschweig ist doch recht berückend, wenn man mal die Innenstadt erreicht hat.

    Ich bleibe den ganzen Tag im Hotelzimmer und sehe fern,

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