In Nomine Mortis
der Dienerin. Sie sah mich erschrocken an, dann hob sie warnend die Hand.
Es war nicht schwer zu erraten, dass Richard Helmstede soeben sein Haus
betreten haben musste. Also schlich ich mich wie ein Dieb — der ich
in gewisser Weise ja auch war — durch die Hinterpforte hinaus, während
der Reeder vorne durchs Portal pompösen Einzug hielt. Wann würde
ich Klara Helmstede wiedersehen? Draußen auf der Gasse blieb ich
nicht lange, aus Angst, Richard Helmstede könnte zufällig aus
einem Fenster blicken und mich erkennen. Er mochte vielleicht nicht
vermuten, dass ich der Liebhaber seiner Gattin war, doch würde er womöglich
glauben, dass ihm ein Inquisitor hinterherspionierte.
Erst als ich am Ufer der
Seine war, verlangsamte ich meinen Schritt. Auf dem Grand Pont hörte
ich zwei Marktweiber, die sich laut über die Seuche unterhielten.
Glaubte man den beiden Schwätzerinnen, dann war sie schon in Orleans.
Als ich den Namen dieser Stadt vernahm, dachte ich jedoch weniger an den
Schwarzen Tod als vielmehr an die Schönfrau Jacquette, der Meister
Philippe zur Strafe das Kloster dort angedroht hatte.
Jacquette, Klara Helmstede,
Lea … Mir schien, dass die Schicksale dieser drei Frauen, die
meiner Seele teuer waren, auf rätselhafte Weise mit meinem Geschick
verwoben waren: Löste ich alle mir gestellten Aufgaben, so wären
sie wohl behütet. Scheiterte ich, bedeutete es ihren Untergang.
Welch böser Scherz
Satans, dass ausgerechnet ich, ein Mann des Glaubens und des Klosters,
gleich drei Töchtern Evas beistehen musste, und dass ich glaubte,
dies am besten tun zu können, indem ich gegen fast alle Regeln meines
Ordens und der Inquisition verstieß! Ich lenkte meine Schritte zur
Rue Coupe-Gueule, bis zur Universitas magistrorum et
scolarium parisiensum, dem Kollegium des Robert de
Sorbon.
Es war ein großer,
finsterer Bau, mit wuchtigen Säulen und schmalen, hohen Fenstern. Auf
dem Weg dorthin hatte ich mir bereits überlegt, wie ich mir Zugang
zur Bibliothek verschaffen könnte. So ging ich nun selbstsicheren
Schrittes auf einen Studenten zu, der am Eingang den Dienst als Pförtner
versah. Er war ein junger Augustinermönch, der mich nicht eben
freundlich musterte, als er meiner gewahr wurde. Die Brüder anderer
Orden lieben uns Dominikaner nicht - doch ich gedachte, mir genau jene
Mischung aus Abneigung und widerwilligem Respekt zunutze zu machen. »Fax
vobiscum. Mein
Name ist Ranulf Higden vom Kloster der Dominikaner in der Rue
Saint-Jacques«, begann ich meine in Gedanken vorbereitete Rede. Ich
bemühte mich, Respekt in meiner Stimme anklingen zu lassen, denn
meist fühlen sich die Mönche anderer Orden von uns gering geschätzt.
»Pax vobiscum «, antwortete der Augustiner
und deutete eine Verbeugung an. Sein Gesicht zeigte bereits freundlichere
Züge. »Willkommen in unserem Kollegium. Womit kann ich dir
dienen?«
»Der Inquisitor von
Paris schickt mich, Meister Philippe de Touloubre«, log ich. »Ich
soll in seinem Auftrag ein Buch studieren, das unsere Bibliothek nicht
hat. Er glaubt, dass ich es hier finden könnte.«
Bei der Nennung von Meister
Philippe war der junge Mönch blass geworden. Er verneigte sich.
»Folgt mir zur Bibliothek, Bruder«, sagte er und sprach dabei
unziemlich rasch. Fast war es mir, als wolle er mich so schnell wie möglich
loswerden — so als glaube er, dass ich ihm Unglück bringe.
Wir eilten einen düsteren
Gang hinunter, der auf einen schönen Innenhof führte, wo ein
Springbrunnen murmelte und Rosen in mannshohen Büschen wuchsen. Am
Ende dieses Hofes öffnete der Augustiner eine Pforte — und wir
traten in einen hohen Raum ein: die Bibliothek.
Zu meiner Rechten, an einer
der beiden Schmalseiten der langgestreckten, überwölbten
Bibliothek, standen wohl zwei Dutzend eichene Schreib- und Lesepulte im
rechten Winkel zu hohen Fenstern, sodass viel Licht auf sie fallen konnte.
Bei ungefähr einem Viertel der Raumlänge trennte eine hohe, mit
allerlei kundig ausgeführtem Schnitzwerk verzierte Schranke diesen
vorderen Arbeitsbereich ab. Dahinter erblickte ich in langen Reihen Kisten
über Kisten, mehr, als ich zu zählen vermochte. Alle waren mit
schweren Beschlägen und großen Schlössern gesichert
— und alle enthielten sie Dutzende Bücher. Hunderte Werke
mussten hier liegen, vielleicht sogar ein paar
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