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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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Tausend.
    Oh, es war der Himmel der Bücherfreunde,
     der sich so plötzlich vor mir aufgetan hatte! Endlich war ich im
     Kollegium des Robert de Sorbon — wenn auch aus ganz anderen Gründen,
     als ich sie mir erträumt hatte, seit mein Prior mir in Köln eröffnet
     hatte, dass ich nach Paris gehen durfte.
    Ein älterer Mönch,
     ebenfalls im Habit der Augustiner, stand an einem der Pulte und studierte
     einen alten, schweren Folianten. Er würdigte mich keines Blickes, so
     versunken war er in den Text. An einem anderen Pult arbeitete ein junger
     Franziskaner. Er hatte ein Brevier aufgeschlagen und sich dazu einige Blätter
     Pergament bereitgelegt. Nun kopierte er den Text des Büchleins - ob
     er das ganze Werk abschrieb oder nur einige Sentenzen, das vermochte ich
     nicht zu sagen. Der Franziskaner starrte mich neugierig an, blickte dann
     jedoch rasch wieder auf sein Pult, als er bemerkte, dass ich ihn ebenfalls
     musterte.
    Ein kleiner, hagerer,
     hinkender Mann unbestimmbaren Alters öffnete eine Tür in der
     Schranke und kam aus dem hinteren Teil des Raumes bis zu mir, der ich
     respektvoll an der Pforte gewartet hatte. Der Mann trug schlichte,
     schwarze Kleidung, gehörte jedoch nicht zum geistlichen Stand.
    Der junge Augustiner an
     meiner Seite verneigte sich. »Magister Jean Froissart, der
     Bibliothekar unseres Kollegiums«, stellte er ihn mir vor. Dann zog
     er sich zurück und bemühte sich nicht länger, seine
     Erleichterung zu verbergen, meiner Gegenwart entkommen zu sein. Ich
     wiederholte meine Lüge und fragte dann höflich, ob ich ein Buch
     sehen dürfe.
    »Selbstverständlich,
     Bruder Ranulf. Es ist mir eine Ehre, der Inquisition zu dienen«,
     antwortete Froissart.
    Seine Stimme klang hoch und
     gebrochen. Ich hatte sofort den Verdacht, dass er lauter sprach als
     notwendig gewesen wäre, um den anderen beiden Mönchen
     anzuzeigen, dass nun ein Inquisitor im Raum sei.
    Ich fühlte mich
     unbehaglich, versuchte jedoch, mir nichts anmerken zu lassen.
    »Ich möchte gerne
     den ›Liber
     floribus‹ des Lambert von Saint-Omer studieren«, sagte ich.
    Ich betete, dass kein Zittern
     in meiner Stimme mitklang, und hielt vor Aufregung den Atem an.
    Froissart blickte mich
     erstaunt an. »Wie seltsam«, murmelte er. »Was ist daran
     so seltsam, Magister Froissart?«, stieß ich hervor, nun aufs Höchste
     nervös.
    Der Bibliothekar schüttelte
     den Kopf. »Oh, denkt nicht darüber nach, Bruder Ranulf.
     Wahrscheinlich ist es bloß ein eigenartiger Zufall. Es ist nur so,
     dass dieses Werk wohl ein halbes Jahrhundert lang von niemandem hier
     gelesen wurde. Und nun seid Ihr schon der zweite innerhalb weniger Wochen,
     der es zu sehen wünscht.« Ich schwankte leicht, dann fing ich
     mich wieder. »Ein Zufall, sicherlich«, stieß ich
     gepresst hervor.
    »Ich bringe Euch das
     Buch«, sagte Froissart und verschwand hinter der Schranke.
    Währenddessen suchte ich
     mir ein Pult, das möglichst weit von jenen entfernt war, welche die
     beiden anderen Mönche mit Beschlag belegt hatten.
    Konnte dies wahrhaftig ein
     Zufall sein? GOTT, so dachte ich, würfelt nicht. Nichts ist Zufall in
     dieser Welt. Alles folgt einer Bestimmung.
    Doch konnte ich es wagen,
     Froissart nach jenem anderen Mann zu fragen, der den »Liberfloribus« zu sehen begehrt hatte? Wie sollte
     ich dies anstellen, ohne seinen Verdacht zu erregen? Ich beschloss, erst
     einmal das Werk gründlich zu studieren und dann vielleicht, so unauffällig
     wie möglich, die Identität jenes anderen Lesers zu lüften.
     Nach einer Weile brachte mir Jean Froissart den »Liberfloribus«. Dazu hatte er sich eine dicke
     Kladde unter den Arm geklemmt. Nachdem er das Werk auf mein Pult gelegt
     hatte, öffnete er diese Kladde und trug umständlich das Datum
     des heutigen Tages, den Titel des Buches und meinen Namen ein. Dann
     verneigte er sich und überließ mich meiner Lektüre.
    Meine Hände zitterten
     leicht, als ich den »Liber floribus« aufschlug. Dies war ein Exemplar,
     das in edleres Leder gebunden war als das, welches Lea mir überreicht
     hatte. Die Initialen auf jeder Seite waren in roter Tinte ausgeführt,
     die Bildnisse und Zeichnungen feiner und mit sichererer Hand gezeichnet.
     Doch all dies interessierte mich nicht.
    Ich hoffte, dass der Kopist
     dieser Ausgabe aufmerksamer gewesen wäre als jener, der sich mit dem »Liberfloribus« des Geldwechslers beschäftigt
     hatte. Denn es ist ja so, dass jedes Buch

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