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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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selbst!« Und ich las: »Heinrich von Lübeck«.
    *
    Ich war nicht wirklich überrascht.
     Irgendwie hatte ich schon erwartet, diesen Namen zu finden. Wer sonst hätte
     es sein können? Doch brachte mich diese Erkenntnis der Lösung
     aller Rätsel auch nur einen Schritt näher? Nein, im Gegenteil:
     Es addierte nur ein neues Geheimnis zu jenen vielen hinzu, die mich
     bereits quälten.
    Ich lächelte resigniert
     und wollte Jean Froissart schon danken und mich müden Schrittes aus
     der Bibliothek entfernen, ratlos und geschlagen — da stutzte ich.   
    »Gebt mir noch einmal
     Eure Kladde, Magister Froissart!«, bat ich den Bibliothekar.
    Dieser reichte sie mir
     bereitwillig und ich studierte noch einmal den Eintrag über Ausgabe
     und Rücknahme des »Liber floribus«. Irgendetwas kam mir seltsam vor,
     obwohl doch alles seine Richtigkeit zu haben schien. Den Titel des Werkes
     las ich und den Namen seines Verfassers; dann Heinrich von Lübeck als
     denjenigen, der diesen Folianten zu lesen wünschte; dann das Datum,
     an dem er dies tat. Das Datum.                  
    Der Eintrag war mit dem Tag
     des Sankt Quirinus datiert — jenem Tag, an dem wir den entseelten Körper
     Heinrichs von Lübeck gefunden hatten.
    Wer auch immer an jenem späten
     Abend den »Liber
     floribus« ausgeliehen und darin den Hinweis auf das Land der Periöken getilgt
     hatte: Heinrich von Lübeck konnte es nicht gewesen sein, denn der war
     zu jener Stunde bereits tot.
    Zum ersten Mal kam mir der
     Verdacht, dass Heinrich von Lübeck nicht allein gehandelt hatte.
     Bislang hatte ich geglaubt, dass es eine einsame Leidenschaft gewesen sein
     musste, die ihn angetrieben hatte. Eine Leidenschaft, die es zu ergründen
     galt, dann wäre auch das Rätsel um seinen Tod gelöst.
     Vielleicht, so vermutete ich bis zu jenem Augenblick, hatte allenfalls
     auch der Reeder Richard Helmstede seine Finger mit im Spiel gehabt.
    Was aber, wenn stattdessen
     mehrere meiner Mitbrüder etwas mit jenen finsteren Geschichten zu tun
     hatten? Ich musste an die beunruhigenden nächtlichen Vorfälle im
     Kloster denken. War Heinrich von Lübeck Teilnehmer jener Treffen zur
     düsteren Stunde? Oder kam er diesen Versammlungen, gleich mir, eher
     zufällig auf die Spur — und musste deshalb sterben? Mir
     schauderte.
    Doch selbst wenn ich glauben
     mochte, dass einer meiner Mitbrüder irgendwie in das Ende Heinrichs
     von Lübeck verwickelt war, so erklärte mir dies weder die
     anderen Untaten noch die Bedeutung jenes mysteriösen Landes terra perioeci.
    Ich verabschiedete mich von
     Jean Froissart und verließ das Kollegium. Doch draußen wusste
     ich nicht weiter. Die Hitze drückte mich nieder. Ich hatte seit
     Stunden nichts gegessen und getrunken und fühlte mich deshalb schwach
     und ausgedörrt. Ziellos ging ich durch die Gassen und versuchte,
     meine Gedanken zu ordnen. Doch ich kam nicht weit. Noch auf der Place
     Maubert gewahrte ich eine Menge. Ich hörte abscheuliche Worte und
     sah, wie ein paar Marktweiber faulige Apfel warfen. Neugierig trat ich näher
     — und erbleichte.
    Ein paar junge Burschen
     hatten einen Mann gepackt, den ich zunächst für einen der
     ihrigen hielt - doch dann erblickte ich das gelbe, aufgenähte
     Judenmal auf seinem Wams. Die Umstehenden feuerten die Burschen an, die
     den Unglücklichen übel mit Schlägen und Tritten quälten.
    »Sein Blut komme über
     ihn!«, schrie jemand. »Blut, Blut!«, riefen viele
     andere.
    Und wahrhaftig floss dem
     Juden bald roter Lebenssaft aus einer Stirnwunde über das Gesicht.
     »Brunnenvergifter!«, hörte ich aus der Menge.
    »Ihr schickt uns den
     Tod, weil ihr uns Christen hasst!«, keifte ein Marktweib und
     schleuderte, da ihr die fauligen Äpfel wohl ausgegangen waren, Dung
     nach dem Juden.
    Die Burschen zerrten ihr
     Opfer bis zur Croix Hemon, dem großen, steinernen Kreuz auf dem
     Platz. Dort drückten sie sein Gesicht gegen das Bildnis und zwangen
     ihn so, das Kreuz zu küssen.
    Es wäre wohl schlimm
     ausgegangen mit dem jungen Juden, wenn ich mir nicht ein Herz gefasst hätte
     und vorgetreten wäre.
    Als sie meiner Kutte
     ansichtig wurde, verstummte die Menge. Die Burschen blickten verlegen zu
     Boden und ließen von dem Juden ab.
    Ich war klug genug zu
     schweigen. Kein Wort des Vorwurfs oder der Ermahnung richtete ich an die
     Menschen. Wozu auch? Sie fürchteten sich vor der Seuche - und sie
     suchten jemanden, an dem sie ihre Angst

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