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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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Schatten unter dem Erker eines Hauses einer Gestalt gewahr wurde:
     Dort stand eine schlanke, offensichtlich junge Frau, die trotz der drückenden
     Hitze einen hellen Schleier um das Haupt trug. Als ich an ihr
     vorbeischritt, hob sie mit ihrer Linken kurz den feinen Stoff — und
     ich erkannte Lea, die Tochter des Geldwechslers. Ich wäre vor Überraschung
     fast gestolpert.
    »Verzeiht, Meister
     Philippe«, stammelte ich, »ich bin etwas ermüdet.«
     Der Inquisitor lächelte mir gütig zu. »Du wirst gleich
     ruhen dürfen, Bruder Ranulf«, erwiderte er.
    Während wir an die
     Klosterpforte klopften, blickte ich mich rasch noch einmal um: Lea hatte
     den Schleier wieder vor ihr Gesicht gelegt. Sie wartete im Schatten des
     Hauses.
    Ich sah, dass sie wieder
     keinen gelben Flicken auf ihrem Gewand trug. So fiel sie zwar weniger auf,
     wenn sie durch die Straßen ging, doch ausgerechnet vor dem Kloster
     der Dominikaner, der Heimstatt der Inquisitoren, ein derartiges Risiko
     einzugehen …! Sollte sie jemand erkennen, würde sie
     unweigerlich im Kerker enden. Schweiß brach mir aus, denn ich
     wusste, dass ich mich beeilen musste. Jeder Augenblick, den ich zögerte,
     vergrößerte die Gefahr für die junge Jüdin.
    Also verabschiedete ich mich
     im Kreuzgang von Meister Philippe und ging gemessenen Schrittes in meine
     Zelle. Dort zählte ich im Geiste bis einhundert, dann spähte ich
     vorsichtig wieder auf den Gang. Niemand war zu sehen.   
    Also eilte ich zurück,
     durchmaß den Kreuzgang und grüßte an der Pforte den alten
     Portarius. »Meister Philippe schickt mich noch auf einen Botengang«,
     erklärte ich ihm, da mir auf die Schnelle keine bessere Ausflucht
     einfallen wollte. Dann war ich draußen. Gemessenen Schrittes ging
     ich die Rue Saint-Jacques hinunter Richtung Seine. Ich sah mich nicht um,
     doch spürte ich, wie sich Lea, kaum dass ich sie passiert hatte, aus
     dem Schatten an der Hauswand löste und mir dichtauf folgte.
    »Ich bin so froh, dass
     wir kurz miteinander sprechen können«, flüsterte sie.
    »Wir haben nur ein paar
     Augenblicke Zeit«, erwiderte ich. Dann setzte ich, weil dies so
     kaltherzig klang, eilig hinzu: »Aber auch ich freue mich, dich
     wieder zu sehen.« Und dies war keine Lüge.
    Es war schön, die junge
     Tochter des Geldwechslers hinter mir zu wissen, auch wenn ich nicht wagte,
     den Kopf zu wenden. Nur gelegentlich, mit einem Blick aus den
     Augenwinkeln, erhaschte ich eine Bewegung ihres grazilen Körpers;
     ihre fein geschnittenen Züge waren unter dem Schleier gänzlich
     verborgen.                  
    Vielleicht waren es diese
     Reize des Weibes, die mich, nachdem ich erst ein paar Schritte getan
     hatte, eine Entscheidung treffen ließen. Vielleicht war es aber auch
     ein Gefühl, das mir sagte, allein die kluge und mutige Jüdin könne
     mir nun noch helfen. Jedenfalls entschloss ich mich, Lea das zu enthüllen,
     was ich selbst dem Inquisitor Meister Philippe verschwiegen hatte.
    In wenigen, hastigen Worten
     erzählte ich ihr, unter welchen Umständen ich den Namen terra perioeci gelesen hatte. Ich berichtete vom »Liberfloribus« aus der Bibliothek ihres Vaters
     — und von jener Handschrift aus dem Kollegium de Sorbon, in der
     jemand jeden Hinweis auf das geheimnisvolle Land getilgt hatte.
    Wir waren bis zum Petit Pont
     gelangt, als ich mit meiner Geschichte zu Ende war. Ich verharrte einige
     Augenblicke am Ufer, dann ging ich langsam wieder zurück; Lea folgte
     mir stets. Ich konnte nur hoffen, dass wir keine Aufmerksamkeit erregten.
    »Bruder Ranulf, ich
     danke Euch für das Vertrauen, das Ihr in mich setzt«, flüsterte
     die junge Jüdin und Freude durchströmte mich ob dieser lobenden
     Worte.
    Memores estote uxoris
     Loth. Quicumque quaesierit animam suam salvare perdet illam et qui
     perdiderit illam vivificabit eam. »Was soll ich nun tun?«,
     setzte sie dann hinzu. »Ihr müsst mir helfen«, bat ich.
     »Geht in die Bibliothek Eures Vaters und studiert dort alle Bücher.
     Sucht nach der Terra perioeci. Auch der kleinste Hinweis mag wichtig sein. Auch der unbekannteste aller
     Gelehrten, ja selbst die der Häresie verdächtigen Autoren mögen
     uns etwas mitteilen, das uns helfen kann, das Geheimnis zu lösen.
     Eilt abends, so wie heute, vor das Kloster, wenn Ihr etwas entdeckt habt.
     Ich werde Euch finden und mit Euch sprechen können. Derweil werde ich
     die Bibliothek des Kollegiums de Sorbon aufsuchen und

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