In Nomine Mortis
und doch war es nicht die Kälte des
Regens, die mich erschauern ließ.
Wer waren die Mönche,
mit denen sich der Inquisitor nächtens traf? Andere Inquisitoren? Was
hatten sie zu bereden? Warum diese Heimlichkeit? Hatten diese Zusammenkünfte
etwas mit den Toten zu tun, deren Schicksal Meister Philippe und mich
aneinander gekettet hatte? Oder fanden sie gänzlich unabhängig
davon statt? Gab es sie vielleicht schon seit Jahren? Wussten die meisten
Mönche im Kloster Saint-Jacques vielleicht sogar davon? War nur ich
nicht eingeweiht? Oder — im Gegenteil - war ich der Einzige, der
ihnen auf die Schliche gekommen war? Was sollte ich nun tun? Hatte ich
dadurch nicht noch einen Grund mehr, Meister Philippe zu misstrauen? Mit
diesen Gedanken verbrachte ich den Rest der Nacht. Einer Nacht, die in
ganz Paris wohl für Unruhe sorgte, denn das Gewitter blieb Stunde um
Stunde über der Stadt, als wollte der Himmel selbst zornig auf die Dächer
einschlagen.
Als allerdings der Morgen
heraufdämmerte, lösten sich die Wolken auf, als hätte es
sie nie gegeben. Blau war der Himmel, strahlend und klar und wie rein
gewaschen die Luft. Schon nach der Prim wärmte uns die Sonne, nach
der Terz stand sie bereits hoch und brannte heiß.
Meister Philippe sang bei den
Gottesdiensten im Chor der Mönche, als wäre nichts geschehen. Er
sah erfrischt aus und ruhig wie immer.
Ich wagte nicht, ihn
anzusprechen, aus Furcht, dass ich in einem unbedachten Moment etwas
verraten mochte, das den Inquisitor auf die Spur meiner nächtlichen
Suche gebracht hätte. Außerdem befürchtete ich, dass
Meister Philippe mich fragen mochte, was ich an diesem Tage außerhalb
des Klosters zu schaffen hatte.
Denn schon nach der Prim war
ich auf die Rue Saint-Jacques getreten, doch zu meiner großen Enttäuschung
gewahrte ich nirgendwo Klaras Dienerin. Nach der Terz eilte ich wieder
hinaus - und mein Herz jubilierte, denn nun sah ich sie!
Wir verständigten uns
nur durch einen Blick; keine Geste sollte uns verraten. Die Dienerin
wandte sich die Straße hinab und ging Richtung Seine. Ich folgte ihr
— doch wie erstaunt war ich, als ich nach einiger Zeit bemerkte,
dass wir nicht zum »Haus zum Hahn« gingen. Stattdessen führte
mich die Dienerin in die Kathedrale Notre-Dame. Mit einem Blick bedeutete
sie mir, an einem der Pfeiler im Kirchenschiff zu warten. Dann zog sie
sich zu einer Kapelle am Chor zurück und sank dort nieder zum Gebet.
Ich blickte mich ratlos um, grübelnd, was dies zu bedeuten hatte.
In der Kirche drängte
sich ungewöhnlich viel Volk für diese Stunde. Dann gewahrte ich
mehrere Priester, die vor den Altar traten, um eine Messe zu lesen. Eine
Totenmesse.
Neugierig und nicht wenig
beunruhigt trat ich näher. Ich lauschte dem aufgeregten Gerede
mehrerer Müllerinnen, die in der Nähe des Pfeilers beisammen
standen, wo auch ich ausharren sollte. So erfuhr ich denn, dass in der
Nacht zuvor jener Blitz, der mir das Gesicht des Inquisitors enthüllt
hatte, tatsächlich in Paris eingeschlagen war: Er war hineingefahren
in die kleine Kirche Notre-Dame-de-Liesse, wo sich Christenmenschen zur
Mitternachtsmesse versammelt hatten.
Vier Menschen hatte der Blitz
getötet, dreißig weitere hatte er ihrer Glieder oder ihres
Verstandes beraubt. So gewaltig war die Kraft des Flammenstrahls, dass
sogar steinerne Platten und Eisengitter, welche den Zugang zur Krypta
verschlossen hielten, vom Boden hochgerissen und durch die Luft
geschleudert worden waren.
Nun hielten vier Priester die
Totenmesse in der größten Kirche von Paris, denn gar viele
Angehörige, Freunde und Nachbarn hatten sich eingefunden und auch
viele Bürger, obwohl sie keines der Opfer gekannt hatten.
Die Heiterkeit und Hoffnung,
die einen jeden in den letzten Tagen beflügelt hatten, waren wie
weggeflogen. Die Ängste, die bösen Gerüchte, die
unheilvollen Vorzeichen, die ein jeder gesehen haben wollte, machten
wieder in getuschelten Worten die Runde. So trauerte ich zwar ob der vier
Opfer, schlug das Kreuz und murmelte die Gebete, doch noch mehr
beunruhigte mich das Geschwätz der Lebenden als das Schicksal der
Toten. Es war, als könnte ich die Furcht wieder spüren, wie sie
umging in Notre-Dame und mich streifte, gleich einem kühlen Lufthauch
aus einer Gruft. Deshalb zuckte ich eher erschrocken, denn erfreut
zusammen, als ich plötzlich Klaras
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