In Nomine Mortis
nicht
einmal einen vagen Hinweis, und doch: Konnte es möglich sein, dass
das Ziel der Kogge jenes mir unbekannte Land war, das terra perioeci hieß?
14
DER SCHATTEN VON PARIS
Es kam so, wie ich es befürchtet
hatte. Magister Jean Courtecuisse, der Bischof von Paris, zelebrierte am
folgenden Sonntag eine Messe in Notre-Dame. Alle Mönche aus dem
Kloster waren anwesend und meine Mitbrüder versicherten mir, dass sie
nie zuvor eine derart große Zahl von Gläubigen in der
Kathedrale gesehen hätten wie an jenem Tag, nicht einmal, als der König
von Frankreich das letzte Mal Paris mit seiner Gegenwart beehrt hatte.
Zwar erinnerte ich mich der wenig schmeichelhaften Worte, welche Meister
Philippe über die Gelehrsamkeit des Bischofs geäußert
hatte, doch muss ich zugeben, dass er an jenem Morgen sehr gut und sehr
verständig sprach.
Schon im Morgengrauen, direkt
nach der Prim, waren wir vom Kloster zur Kathedrale geeilt — und hätten
doch keine Plätze mehr bekommen, wären nicht zwei Reihen den
Dominikanern von Saint-Jacques vorbehalten gewesen. Das Volk stand in
dichtem Gedränge wohl an die hundert Schritt weit draußen auf
dem Platz. Im riesigen Kirchenschiff wogten Geistliche und Adelige,
Kaufleute und Gelehrte der Universität, Handwerker und Bettler
zwischen den mächtigen Pfeilern wie ein Meer aus guten
Christenmenschen hin und her. Es war ein heißer Tag und stickig war
die Luft in Notre-Dame, sodass schon lange vor der Messe wohl gar mancher
die Besinnung verlor. Doch als Magister Jean Courtecuisse endlich auf der
Kanzel erschien, da donnerte seine tiefe Stimme über die unzähligen
Köpfe seiner Herde hinweg. In höchsten Tönen lobte der
Bischof die GOTT gefälligen Taten der Inquisition und insbesondere
die meines Meisters. Dann schilderte er noch einmal in allen grausigen
Einzelheiten — Philippe de Touloubre hatte sie ihm ohne Zweifel
eingehend beschreiben müssen — die Mordtaten an Heinrich von Lübeck
und am Domherrn Nicolas d'Orgemont. Viele Gerüchte waren darob schon
in Umlauf gewesen, doch hörten es die Menschen nun aus berufenem Mund
und viele vernahmen die Geschichten der Morde gar zum ersten Mal. Der
Bischof deutete diese unerhörten Sünden als die Taten, welche
GOTTES Zorn auf Paris, ja auf ganz Frankreich gelenkt hatten. So erfuhren
die Christen von ihrem Oberhirten die Gründe für die
schreckliche Heimsuchung, vor der sie sich seit Wochen ängstigten.
Nur Jacquettes Tod erwähnte er mit keinem Wort. Sodann malte Magister
Jean Courtecuisse den Gläubigen die Folter aus, die Pierre de
Grande-Rue erdulden musste, bevor ER ihn vor SEINEN Richterstuhl befohlen
hatte. Der Bischof schloss seine Predigt mit einem Bild der Höllenqualen,
welche den Vaganten nun für alle Ewigkeiten heimsuchen würden
— und den Segnungen, welche die guten Bürger von Paris hingegen
davon erwarten durften, dass die Inquisition den Unhold gefasst hatte, dem
zwei Männer GOTTES erlegen waren.
Selbst ich, der ich doch die
schrecklichen Einzelheiten jener Sünden besser als fast jeder andere
Zuhörer in Notre-Dame kannte, schauderte, als der Bischof in klaren,
wohlgesetzten Worten die Morde und die Folter schilderte. Erleichtert
seufzte auch ich auf, da er uns nun verhieß, dass für uns
Christen in Paris der Zorn GOTTES noch einmal im letzten Augenblick
abgewendet worden sei. Doch zugleich erfüllte mich auch Trauer. Eine
Trauer um Jacquette, deren Schicksal niemandem auch nur ein Wort wert war;
Trauer auch um den Vaganten, der ohne Zweifel ein Sünder gewesen war,
der es jedoch nicht verdiente, dass sein Ansehen derart geschwärzt
wurde wie in dieser Predigt; und, wenn auch keine Trauer, so doch Mitleid
mit mir selbst, dass ich nicht in der Kathedrale aufstehen konnte, um der
Christenheit mit lauter Stimme zuzurufen, dass der Mörder, vor dem
sich alle fürchteten, noch immer frei unter uns herumlaufen musste,
ja, dass er vielleicht gerade in jenem Augenblick, da der Bischof
predigte, unter den Zuhörern in der Kathedrale zu finden war. Oh, hätte
ich doch geahnt, wie Recht ich in meiner Verzweiflung gehabt hatte!
So aber schwieg ich betrübt
- und mied den Blick von Meister Philippe.
Auch diese Furcht war wohl
begründet: Der Inquisitor sprach an jenem und auch an keinem anderen
Tag mehr mit mir über das geografische Werk des Castorius, das er aus
dem Versteck des Vaganten
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