In Nomine Mortis
Stimme hinter mir vernahm.
»Dreh dich nicht um,
mein Geliebter«, flüsterte sie. »Niemand soll uns
bemerken.«
Mir klopfte das Herz im
Halse. Oh, wie gerne hätte ich in jenem Augenblick die Gattin des
Reeders in meine Arme genommen! Doch war ich vernünftig genug, meine
Leidenschaft zu bezähmen. Nicht einmal aus den Augenwinkeln sah ich
sie an, sondern starrte unverwandt nach vorne, wo einer der Priester
gerade den Kelch hob. »Ich bin glücklich, dass du hier bist«,
flüsterte ich. »Doch warum durfte ich nicht in dein Haus
kommen?«
»Das ›Haus zum
Hahn‹ gleicht einem Bienenkorb. Stündlich gehen Menschen ein
und aus, nie bin ich allein. Es ist so viel geschehen in den letzten
Tagen. Ich werde dir alles erzählen - aber nicht hier. Ich habe dich
hierherkommen lassen, weil Notre-Dame ein großer, belebter und
deshalb unauffälliger Ort für ein Treffen ist. Ich bin ungesehen
hier angekommen. Meine Dienerin Magdalena wird nun sehen, ob auch du von
niemandem verfolgt worden bist.« Erst da gewahrte ich, dass die
Dienerin nicht länger in jener Seitenkapelle kniete, wo ich sie
zuletzt gesehen hatte. Irgendwann musste sie unauffällig aus der
Kathedrale geschlichen sein; ich jedenfalls konnte sie nirgends sehen.
»Du wirst verfolgt?«,
fragte ich entsetzt und eine Spur zu laut. »Sei nicht beunruhigt!«,
ermahnte sie mich. »Bald wirst du alles erfahren. Wir müssen
allerdings noch vorsichtiger sein als zuvor. Gedulde dich.«
Tatsächlich sah ich bald
die Dienerin, wie sie wieder zum Portal hineinkam. Sie ging mit gesenktem
Haupt an uns vorbei, doch nickte sie ihrer Herrin zu, zumindest deutete
ich eine Kopfbewegung so. »Gut«, flüsterte Klara. »Wir
können es wagen: Magdalena wird dich zum Haus eines reichen Wollhändlers
in der Rue Darnetal führen. Ihre Schwester ist dort Dienerin. Ich
werde in ihrer Stube auf dich warten. Alles ist abgesprochen, fürchte
dich nicht. Ich werde nun dorthin eilen. Du wirst bis zum Ende der Messe
bleiben, dann folgst du Magdalena unauffällig. Sie wird dir den Weg
weisen. Ich erwarte dich sehnlichst!«
Mit diesen Worten verschwand
sie und ließ mich verwirrt zurück. Wer mochte der Verfolger
sein, vor dem sich Klara ängstigte? Mochte er auch mir nachstellen?
Ich betete, dass ihr nichts geschehen möge. Ich bezwang meine
Ungeduld und Unruhe und harrte bis zum Ende der Messe in Notre-Dame aus.
Das Licht, das durch die prachtvollen Rosetten fiel und mir doch sonst wie
eine Offenbarung GOTTES dünkte, schien mir nun ein teuflischer Zauber
zu sein. Ich sah gelb, rot und blau leuchtende Kreise, Punkte, Dreiecke,
die auf den Pfeilern und über den Köpfen der demütig
betenden Gläubigen tanzten - und erkannte in ihnen doch nur die
unruhigen Seelen der Toten und der Dämonen, die uns der Herr der
Finsternis schickt, um uns zu quälen. Die Pfeiler, die mir doch sonst
gen Himmel strebend vorkamen, als trügen sie irgendwo weit oben, im
Halbdunkel des Kirchenschiffes, das Paradies versteckt, erschienen mir nun
wie wuchtige, drohende Balken eines gigantischen Galgens, errichtet, um
Hunderte Menschen in seinen Schlingen zu tragen. Die heiligen Worte der
Messe und die Hymnen, welche doch sonst mein Herz erfreuten und meine
Seele leicht machten, klangen auf einmal hohl und lügnerisch. Oh, wie
sehnte ich den letzten Segen herbei, um aus Notre-Dame eilen zu können!
Als es endlich so weit war,
gewahrte ich im Gedränge an der Pforte vor der Kathedrale die
Dienerin Magdalena. Ich folgte ihr in gehörigem Abstand. Sie führte
mich auf die andere Seite der Stadt und mehrere Straßen entlang, die
ich nie zuvor gegangen war. So versuchte ich, mir den Weg zu merken, auf
dass ich ihn später ohne Schwierigkeiten würde zurückgehen
können.
So schritten wir an der
Kirche Saint-Sauveur vorbei und kamen unmittelbar danach an ein
prachtvolles, helles Bürgerhaus beim Brunnen Fontaine de la Reine.
Das Haus war wohlgepflegt, doch still. Kein Laden war an den Fenstern im
Obergeschoss geöffnet, die massive Türe war verschlossen, kein
Schatten regte sich hinter den Fenstern aus hellem Glas im Erdgeschoss.
Die Dienerin ging zur rechten
Seite des Hauses, wo eine kleine Treppe zu einer etwas höher
gelegenen Pforte hinaufführte. Es war dies wohl der Eingang für
das Gesinde und für Lieferanten, die Waren für die Küche
des
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