In Nomine Mortis
nach der Prim, passierte ich stets seine Stube, nickte ihm gemessen zu,
schwieg jedoch über meinen Weg. Er hob müde die Hand und ließ
mich hinaus.
Auf der Rue Saint-Jacques
harrte ich dann immer einige Zeit aus, nervös im Schatten einer
Seitengasse hin und her schreitend — in der Hoffnung, Magdalena zu
sehen, die Dienerin, die mich zu meiner geliebten Klara führen könnte.
Doch stets wartete ich vergebens und mein Herz wurde schwer darüber.
Dann ging ich hinunter zur
Place Maubert und betrat das Kollegium de Sorbon — allerdings nicht
ohne zuvor einen Abstecher bis zur Seine-Insel gemacht zu haben, um einen
Blick auf den Hafen zu werfen. Dass ich die Kogge sah, beruhigte mich ein
wenig, auch wenn ich wusste, dass jeder Tag, der verstrich, mich der
unvermeidlichen Abreise der »Kreuz der Trave« und meiner
Geliebten näher brachte. Noch immer kannte ich weder Ziel noch Zweck
der heimlich geplanten Seefahrt.
Magister Jean Froissart, der
hinkende Bibliothekar im Kollegium, begrüßte mich in den ersten
Tagen höflich, doch misstrauisch. Nach einiger Zeit jedoch wurde er
freundlicher zu mir — war ich doch oft der einzige Mensch, der sich
zwischen den Lesepulten verirrte. Je länger dieser drückende
Sommer andauerte, desto wilder wurden die Gerüchte über die
Seuche, die irgendwo vor den Mauern von Paris lauerte. Jeder wartete auf
den Ausbruch der Krankheit, fast schien es, als würden alle Bürger
erleichtert sein, bräche das Schreckliche nur endlich hervor. Doch
nichts geschah.
So wanderten Männer und
Weiber wie ruhelos durch die Straßen. Die Bäcker buken kaum
noch Brot und gar keinen Kuchen mehr, die Schneider beschränkten sich
auf das Flicken von Gewändern, nähten jedoch keine neuen, die
Schlächter und Gerber ließen ihre unreinen Gewerbe ruhen, die
Lumpenhändler zogen nicht mehr durch die Gassen. Für die Bettler
waren dies goldene Tage, denn viele Bürger waren freigebiger als
sonst, da sie ihre letzten Tage fürchteten. Ertragreich war diese
Zeit auch für die Waffenschmiede, denn ein jeder kaufte sich Dolche,
Spieße, gar Schwerter, wenn auch niemand genau wusste, wozu sie
dienen sollten — die Englischen und Burgundischen rührten sich
nicht mehr. Man sagte, dass auch in ihren Lagern die Seuche mehr
Landsknechte holte als jede Schlacht. Auch die Schönfrauen
profitierten von der seltsamen Stimmung in der Stadt und versteckten sich
nicht mehr im Schatten von Notre-Dame, sondern gingen selbst am
helllichten Tage ohne Furcht über die Straßen und sprachen Männer
an: mulierespublice
infamatae. Viele Männer
waren nur zu willig, ihren Verlockungen zu erliegen. Ich dachte an
Jacquette und dieser Gedanke betrübte mich sehr. Ihr Tod blieb ungesühnt.
Auch die Bedrohung der
Inquisition, die düster über dem Haupt des jüdischen
Geldwechslers schwebte, wollte nicht weichen, so sehr Lea auch kämpfen
mochte.
Dazu würde Klara bald
die Stadt verlassen und ich ahnte nicht einmal, wohin. So fühlte ich
mich denn verlassen und erfolglos und musste mich ermannen, nicht in
Mitleid gegen mich selbst zu versinken.
Ich verließ die
Bibliothek des Kollegiums, wenn die Glocken der Kirchen zur Vesper, zur
Terz und zu all den anderen Gottesdiensten riefen. Magister Jean Froissart
musste mich für einen sehr gewissenhaften Mönch halten.
Tatsächlich jedoch ging
ich zwar jedes Mal zurück zur Rue Saint-Jacques, doch drückte
ich mich dort nur irgendwo in eine Gasse vor dem Kloster, um mich zu
verbergen. Ich hoffte, dass ich einmal auf Magdalena treffen würde -
doch stets ging ich nach einiger Zeit allein zurück zu meinen Büchern.
In der Bibliothek des
Kollegiums ließ ich mir zuerst das Werk des Castorius kommen. Es
überraschte mich nicht mehr, als mir Magister Froissart sagte, dass
sich Jahre lang niemand um das Werk bekümmert hatte - und dass ich
nun schon der zweite war, der es in der letzten Zeit zu sehen wünschte.
Es überraschte mich auch
nicht, dass er zwar wusste, dass ein Dominikaner dieses Buch zuvor
ausgeliehen hatte — dass er jedoch nicht zu sagen vermochte, wer der
Mönch gewesen sei. Als ich die Ausleihliste studierte, bemerkte ich,
dass jener unbekannte Mönch einen Namen verwendet hatte, den ich noch
nie gelesen hatte. Genauso wenig überraschte es mich, dass im Werk
des Castorius die erste Landkarte mit einem scharfen Messer entfernt
worden war.
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