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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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nirgends wurde auch nur der Name des berühmtesten
     Geografen der Alten erwähnt. Keine Zeile las ich über
     Ptolemaeus, keinen Hinweis auf sein Werk, kein Zitat.
    Ich wurde immer unruhiger und
     wandte mich den Kirchenvätern alter Zeit zu: Tertullian und
     Augustinus las ich, Lactantius und Eusebius. Schließlich studierte
     ich den Isidor von Sevilla, der doch das ganze Wissen seiner Zeit
     zusammengetragen hatte. Nichts, nichts und wieder nichts! Dicit ei Pilatus quid est
     veritas?
    Was ich jedoch entdeckte,
     waren - mal in diesem Buch, mal in jenem — herausgetrennte Seiten;
     Stellen, die jemand, wie mir schien erst in jüngster Zeit, mit
     schwarzer Tinte unleserlich gemacht hatte; Zeilen, die mit einem
     Schabmesser aus dem Pergament gelöscht worden waren.
    Stets ging es auf diesen
     Seiten um Geografie und um die Gestalt der Welt, der Meere und der Länder.
    War es möglich, dass
     jemand alle Bücher genommen und überall den Namen des Ptolemaeus
     gelöscht hatte? So, als hätte es ihn und sein Werk nie gegeben?
     Warum las ich zudem nie von einem Castorius aus Ravenna? Weshalb gab es in
     keinem Werk eine Beschreibung der terra perioecp.
    Die kalte Faust der Angst
     schloss sich um mein Herz, als ich an einem Vormittag nicht zum Kolleg de
     Sorbon gegangen war, sondern mich in die Bibliothek des Klosters in der
     Rue Saint-Jacques zurückgezogen hatte.
    Den Ptolemaeus auszuleihen
     wagte ich nicht, aus Angst, dass dies die Aufmerksamkeit Meister Philippes
     erregt hätte. Doch ich ließ mir von einem Novizen einige der
     anderen Werke der Alten bringen — überall waren dieselben
     Seiten herausgetrennt, die gleichen Zeilen gelöscht worden.
    Waren in ganz Paris die Texte
     auf gleiche Art von unbekannter Hand verstümmelt worden? Oder gar
     überall im Abendland? Wer vermochte Derartiges zu tun — wenn
     nicht die Inquisition? Die Mönche der Heiligen Inquisition waren
     gelehrt, sie kannten vielerlei Schriften, sie hatten Zugang zu jeder
     Bibliothek. Sie waren wohl organisiert in vielen Ländern der
     Christenheit. Doch warum sollte die Inquisition Bücher verändern?
     Weshalb vernichteten sie Texte über Geografie? Selbst wenn diese
     Texte, warum auch immer, ketzerisch sein sollten: Warum erklärten sie
     den Ptolemaeus und die anderen Werke nicht einfach vor GOTT und der Welt
     zur Häresie und verboten allen guten Christen, sie zu studieren?
     Warum diese Heimlichkeit? Wozu dieser ungeheure, doch lautlose Aufwand?
    Lag in diesen Fragen irgendwo
     die Antwort auf das Rätsel der Ermordung Heinrichs von Lübeck
     verborgen? Musste er sterben, weil er dem Geheimnis um die terra perioeci auf die Spur gekommen war?
     Erwartete dann jeden, der dieses Geheimnis anzutasten wagte, das gleiche
     Schicksal? Drohte auch mir der Tod?
    Seit ich als Findelkind des
     Dominikanerklosters zu Köln das Lesen erlernt hatte, war mir die
     Gelehrsamkeit immer als zwar steiniger, doch sicherer Weg zu Glück
     und Seelenheil erschienen. Bibliotheken — jene ruhigen Räume
     mit ihrem Geruch nach Pergament, Leder, Tinte und dem Staub der
     Jahrhunderte — waren mir Inseln des Friedens gewesen, ja geweihte
     Orte, Kirchen gleich.
    Nun jedoch fühlte ich
     mich wie ein Schlafwandler, der plötzlich erwacht und sich mitten auf
     einem Schlachtfeld wiederfindet, wo sich finstere Ritter gnadenlos bekämpfen.
     Bibliotheken, so lernte ich nun, waren unsichtbare Blutacker und Bücher
     waren Schwert und Gift. Was sollte ich nur tun?
    Sollte ich gehen und mein
     Herz verschließen und nicht mehr nach Texten suchen, die es nicht
     geben durfte?   
    Doch hätte ich damit
     nicht Klara und Lea im Stich gelassen? Hätte ich damit nicht das
     Andenken an Jacquette und an Heinrich von Lübeck und sogar das an den
     Vaganten Pierre de Grande-Rue verraten? Konnte ich, selbst wenn ich es
     gewollt hätte, überhaupt noch so tun, als sei nichts geschehen?
    Nein, ich war längst
     viel zu tief in ein schreckliches Geheimnis verstrickt, das Menschen
     verschlang wie ein Wesen der Hölle. Ich hatte den Begriff terra perioeci gelesen — einmal geschrieben
     mit dem Blut des sterbenden Mönches und ein weiteres Mal auf der
     ersten Seite des Buches von Castorius aus Ravenna. Beide Male war der berühmteste
     Inquisitor von Paris Zeuge gewesen.
    Hatte mich nicht ein
     gesichtsloser Mönch eines Nachts im Kloster entdeckt, da ich
     herumschlich, während sich einige Mitbrüder heimlich trafen?
     Mitbrüder, zu denen eben jener

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