In Nomine Mortis
war,
mich in der Kathedrale zu finden? Ich sah an seinem zögernden Schritt
und an der Art, wie er den Kopf mal nach links, mal nach rechts wandte
— jedoch stets so, dass ich nie sein Gesicht erkennen konnte —,
dass mein unbekannter Verfolger ratlos war.
So streifte er durch die
Kathedrale wie ein unruhiger Wolf, der wieder Witterung aufnehmen wollte.
Andererseits konnte er nicht sicher sein, dass ich mich überhaupt in
Notre-Dame verborgen hielt. Er musste damit rechnen, dass ich, während
er durch die Kathedrale schlich, längst woanders war und mich mit
jedem Augenblick weiter von ihm entfernte.
Ich sah, wie er immer
unruhiger wurde, wie er sich immer häufiger nach dem Hauptportal
umwandte - als bedauerte er, überhaupt das Haus GOTTES betreten zu
haben.
Schließlich hielt es
der Unbekannte offensichtlich nicht länger aus, denn plötzlich
drehte er sich um und eilte hinaus. Ich atmete auf. Doch hielt ich es für
klüger, mich noch länger verborgen zu halten. Erst als die Sonne
zum Abend hin rot erglänzte, wagte ich mich durch die Porte Rouge
wieder aus Notre-Dame hinaus. Vorsichtig blickte ich mich um: Viele
Gestalten sah ich wohl zwischen den Pfeilern und ahnte auch ihr sündhaftes
Tun, doch niemand schien mir darunter zu sein, der meinem Verfolger ähnelte.
So ging ich denn entlang enger Gassen einen großen Bogen durch die
Stadt. Erst nach vielerlei Umwegen durch Paris gelangte ich wieder zu
meinem Kloster - und zwar von der stadtauswärts führenden Seite
der Rue Saint-Jacques her. Sollte mein Verfolger vorgehabt haben, mich vor
dem Kloster abzufangen, dann, so hoffte ich, würde er sich zwischen
diesem und der Seine versteckt gehalten haben, denn dies war ja der
direkte Weg von Notre-Dame bis dorthin. Doch wie dem auch war, ich
gelangte unbehelligt bis zur Pforte, wo mich der Portarius einließ.
Der ältere Mitbruder bedachte mich zwar mit einem missbilligenden
Blick, doch schwieg er. Ich wiederum wagte nicht, ihn nach einem
Unbekannten mit einem grauschwarzen Mantel zu fragen, denn ich wollte
nicht noch mehr Misstrauen erregen. Sollte er nämlich Meldung machen
beim Prior, dann mochte mir der Ehrwürdige Vater wohl mein freies
Kommen und Gehen untersagen.
Ich jedoch wollte das Kloster
schon am nächsten Tag wieder verlassen.
15
DIE VERLORENEN BÜCHER
Der Juli wich dem August. So
wie der alte brachte auch der neue Monat Hitze, lähmende Feuchtigkeit
und Gewitter von einer Heftigkeit, wie sie wohl kaum je ein Mensch in
dieser Stadt gesehen hatte. Ich verbrachte meine Tage endlich auf die Art
und Weise, wie ich mir meine Zeit in Paris immer vorgestellt hatte: im
Studium.
Dennoch war alles anders, als
ich es mir erhofft hatte. War das Kloster in der Rue Saint-Jacques nicht
einst Heimstatt des Albertus Magnus gewesen? Hatte er hier nicht den
heiligen Thomas von Aquin unterrichtet, der zum größten
Gelehrten von allen heranreifte? Ich zweifelte, ob ich dieser Meister würdig
war. Denn statt stolz erhobenen Hauptes in die Bibliothek zu schreiten und
heilige Schriften zu studieren, schlich ich mich am Portarius vorbei, ohne
ihm mein Ziel zu nennen. Nicht die Bibel las ich oder die Werke der
Kirchenväter, um die Ewige Welt zu ergründen, sondern Bücher
über die Geografie dieser unserer vergänglichen Welt — und
manches obskure Werk eines heidnischen Autoren dazu, das eines Mönches
wohl kaum würdig war.
Nur, wen kümmerte dies
noch? Es war, als würde die Welt, in der ich lebte, vor meinen Augen
zerfallen. Die strenge Disziplin des Klosters war dahin. Den ehrwürdigen
Prior sah ich kaum noch. Die Mitbrüder flüsterten, er liege
stundenlang in seiner Zelle und starre geistesverloren zur Decke und
niemand wage es, ihn anzusprechen.
Meister Philippe mied ich, wo
immer ich konnte. Auch dies fiel mir nicht schwer, denn man sah ihn selten
in den Gottesdiensten und noch seltener im Kreuzgang, in der Bibliothek
oder im Skriptorium. Niemand wusste, wo er seine Stunden verbrachte. Es
gab darüber auch keine Gerüchte bei den Mönchen - zumindest
kamen mir keine zu Ohren.
Da alle Brüder wie
ermattet waren — so, als erwartete ein jeder resigniert das
Unvermeidliche, ohne doch sagen zu können, worin dieses sich denn
ausdrücken möge —, kümmerte sich auch der Portarius
nicht sonderlich um mich.
Am frühen Morgen, direkt
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