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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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war,
     mich in der Kathedrale zu finden? Ich sah an seinem zögernden Schritt
     und an der Art, wie er den Kopf mal nach links, mal nach rechts wandte
     — jedoch stets so, dass ich nie sein Gesicht erkennen konnte —,
     dass mein unbekannter Verfolger ratlos war.   
    So streifte er durch die
     Kathedrale wie ein unruhiger Wolf, der wieder Witterung aufnehmen wollte.
     Andererseits konnte er nicht sicher sein, dass ich mich überhaupt in
     Notre-Dame verborgen hielt. Er musste damit rechnen, dass ich, während
     er durch die Kathedrale schlich, längst woanders war und mich mit
     jedem Augenblick weiter von ihm entfernte.
    Ich sah, wie er immer
     unruhiger wurde, wie er sich immer häufiger nach dem Hauptportal
     umwandte - als bedauerte er, überhaupt das Haus GOTTES betreten zu
     haben.
    Schließlich hielt es
     der Unbekannte offensichtlich nicht länger aus, denn plötzlich
     drehte er sich um und eilte hinaus. Ich atmete auf. Doch hielt ich es für
     klüger, mich noch länger verborgen zu halten. Erst als die Sonne
     zum Abend hin rot erglänzte, wagte ich mich durch die Porte Rouge
     wieder aus Notre-Dame hinaus. Vorsichtig blickte ich mich um: Viele
     Gestalten sah ich wohl zwischen den Pfeilern und ahnte auch ihr sündhaftes
     Tun, doch niemand schien mir darunter zu sein, der meinem Verfolger ähnelte.
     So ging ich denn entlang enger Gassen einen großen Bogen durch die
     Stadt. Erst nach vielerlei Umwegen durch Paris gelangte ich wieder zu
     meinem Kloster - und zwar von der stadtauswärts führenden Seite
     der Rue Saint-Jacques her. Sollte mein Verfolger vorgehabt haben, mich vor
     dem Kloster abzufangen, dann, so hoffte ich, würde er sich zwischen
     diesem und der Seine versteckt gehalten haben, denn dies war ja der
     direkte Weg von Notre-Dame bis dorthin. Doch wie dem auch war, ich
     gelangte unbehelligt bis zur Pforte, wo mich der Portarius einließ.
     Der ältere Mitbruder bedachte mich zwar mit einem missbilligenden
     Blick, doch schwieg er. Ich wiederum wagte nicht, ihn nach einem
     Unbekannten mit einem grauschwarzen Mantel zu fragen, denn ich wollte
     nicht noch mehr Misstrauen erregen. Sollte er nämlich Meldung machen
     beim Prior, dann mochte mir der Ehrwürdige Vater wohl mein freies
     Kommen und Gehen untersagen.                  
    Ich jedoch wollte das Kloster
     schon am nächsten Tag wieder verlassen.

 
    15
    DIE VERLORENEN BÜCHER
    Der Juli wich dem August. So
     wie der alte brachte auch der neue Monat Hitze, lähmende Feuchtigkeit
     und Gewitter von einer Heftigkeit, wie sie wohl kaum je ein Mensch in
     dieser Stadt gesehen hatte. Ich verbrachte meine Tage endlich auf die Art
     und Weise, wie ich mir meine Zeit in Paris immer vorgestellt hatte: im
     Studium.
    Dennoch war alles anders, als
     ich es mir erhofft hatte. War das Kloster in der Rue Saint-Jacques nicht
     einst Heimstatt des Albertus Magnus gewesen? Hatte er hier nicht den
     heiligen Thomas von Aquin unterrichtet, der zum größten
     Gelehrten von allen heranreifte? Ich zweifelte, ob ich dieser Meister würdig
     war. Denn statt stolz erhobenen Hauptes in die Bibliothek zu schreiten und
     heilige Schriften zu studieren, schlich ich mich am Portarius vorbei, ohne
     ihm mein Ziel zu nennen. Nicht die Bibel las ich oder die Werke der
     Kirchenväter, um die Ewige Welt zu ergründen, sondern Bücher
     über die Geografie dieser unserer vergänglichen Welt — und
     manches obskure Werk eines heidnischen Autoren dazu, das eines Mönches
     wohl kaum würdig war.
    Nur, wen kümmerte dies
     noch? Es war, als würde die Welt, in der ich lebte, vor meinen Augen
     zerfallen. Die strenge Disziplin des Klosters war dahin. Den ehrwürdigen
     Prior sah ich kaum noch. Die Mitbrüder flüsterten, er liege
     stundenlang in seiner Zelle und starre geistesverloren zur Decke und
     niemand wage es, ihn anzusprechen.
    Meister Philippe mied ich, wo
     immer ich konnte. Auch dies fiel mir nicht schwer, denn man sah ihn selten
     in den Gottesdiensten und noch seltener im Kreuzgang, in der Bibliothek
     oder im Skriptorium. Niemand wusste, wo er seine Stunden verbrachte. Es
     gab darüber auch keine Gerüchte bei den Mönchen - zumindest
     kamen mir keine zu Ohren.
    Da alle Brüder wie
     ermattet waren — so, als erwartete ein jeder resigniert das
     Unvermeidliche, ohne doch sagen zu können, worin dieses sich denn
     ausdrücken möge —, kümmerte sich auch der Portarius
     nicht sonderlich um mich.
    Am frühen Morgen, direkt
    

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