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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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könnte, das man in Paris fände,
     mit einer klaffenden Wunde in der rechten Brust.
    So fasste ich mir denn ein
     Herz, als ich einen älteren Bauern erblickte, der einen Handkarren
     zog, welcher bis oben hin mit Äpfeln beladen war. Plötzlich nämlich
     stürzte ich los, stieß den Bauern beiseite, kippte den Karren
     auf das Straßenpflaster und bog in eine kleine Seitengasse ein, die
     schon halb im Dunkeln lag.
    Hinter mir hörte ich den
     Bauern fluchen, ein paar Weiber kreischten, Kinder und Burschen lachten
     und riefen Spottworte. Ich vernahm noch Lärm und dumpfe Schläge,
     dann war ich schon am Ende der Gasse. Ich kam auf eine große Straße
     und wandte mich nach links. Ich hoffte, dass der Schattenmann im
     Durcheinander aufgehalten worden sei, doch wagte ich nicht, Zeit zu
     verlieren, indem ich mich umdrehte.
    Ohne auf die erstaunten
     Gesichter der Leute und ihre Rufe zu achten, eilte ich die Straße
     hinunter, so schnell mich meine Füße trugen. Es kam mir zupass,
     dass ich zu Fuß von Köln nach Paris gewandert war und seither
     mit Meister Philippe gar manchen weiten Weg durch diese Stadt zurückgelegt
     hatte. So waren meine Beine kräftig und mein Herz war stark. Ich
     rannte wohl fast so schnell wie ein Treiber bei den Jagden der adeligen
     Herren.
    Erst nach über
     einhundert Schritt wagte ich es, den Kopf zu wenden. Mir stockte der Atem:
     Ich sah den Unbekannten, den ich schon abgehängt glaubte, in der Straße.
     Er war zurückgefallen - doch ohne Zweifel hatte er mich noch im
     Blick.
    Ich verdoppelte meine
     Anstrengung und hastete weiter. Plötzlich öffnete sich die Straße
     vor mir - und ich fand mich auf der Place de Greve wieder. Ich schlängelte
     mich an Lastenträgern und Seeleuten vorbei, duckte mich hinter Weinfässer
     und hoch aufgeschichtete Stoffballen, auf dass mein Verfolger mich aus den
     Augen verlöre. Dann stürzte ich zum Grand Pont und hastete zur
     Seine-Insel. Wieder blickte ich mich um und wieder sah ich ihn, doch
     mittlerweile noch weiter entfernt.
    Mit letzter Kraft rannte ich
     auf Notre-Dame zu. Mein Herz hämmerte mir in der Brust, mein Atem
     schmerzte mit jedem Zug, ich schmeckte bereits Blut in meinem Mund. Ich
     wollte durch das Hauptportal in die Kathedrale stürzen, da ich mich
     dort in Sicherheit wähnte, doch im letzten Augenblick hatte ich eine
     rettende Eingebung: Ich bog ab und eilte stattdessen an der linken Seite
     des Hauses GOTTES entlang.
    »HERR, beschütze
     mich!«, flehte ich im Geiste, denn für Worte hatte ich keinen
     Atem mehr.
    Und GOTT erbarmte sich
     meiner.
    Ich tauchte ein in das Gewirr
     der steinernen Streben und Pfeiler, der kühnen Bögen und
     verwinkelten Vorsprünge, in jenes granitene Labyrinth, welches die
     Kapellen wie eine Dornenkrone umschließt. Ich betrat das düstere
     Reich der Schönfrauen und ihrer Liebhaber, der Taschendiebe und
     Bettler - und jeder Sünder dort, der meine Kutte sah, schreckte zurück,
     verkroch sich tiefer in das steinerne Dickicht, war Schatten unter
     Schatten. Das mochte meinen Verfolger, so hoffte ich, bereits gehörig
     verwirren.
    Dann plötzlich sprang
     ich nach rechts und stürzte mich durch eine Pforte ins Innere der
     Kathedrale. Es war, wie ich im letzten Augenblick mit einem Schaudern sah,
     jene Porte Rouge, über der Maria als Himmelskönigin thronte
     — und vor der Heinrich von Lübeck erstochen worden war.
    Im Innern sah ich mich um.
     Durch die Rosetten strömte gelbes, rotes und blaues Licht in das
     Schiff von Notre-Dame. Doch die Sonne stand schon so tief, dass manche
     Fenster kaum noch beschienen wurden. Zwar waren, wie immer, unzählige
     Kerzen vor den Altären entzündet worden, doch auch ihr
     flackernder Schein drang längst nicht überall hin.
    Andererseits waren noch immer
     Hunderte Gläubige hier und beteten oder wanderten langsam und
     gedankenschwer durch das riesige Haus GOTTES. Sie glichen verlorenen
     Seelen, die lautlos durch das Reich der Toten schwebten.
    Ich bezähmte meine
     Unruhe, senkte demütig den Kopf und ging nun gemessenen Schrittes
     weiter, bis ich eine Seitenkapelle erreicht hatte, die bereits im Dunkeln
     lag. Hier verbarg ich mich hinter dem geöffneten Flügel eines
     Altarbildes.
    Irgendwann gewahrte ich den
     Schattenmann. Er war durch das Hauptportal eingetreten. Ich durfte wieder
     hoffen, denn war dies nicht ein Indiz dafür, dass er meinen Weg nicht
     mehr hatte verfolgen können? Dass er sich nicht einmal sicher

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