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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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stand ich am Lesepult
     und starrte betäubt ins Nichts. Was mochte dies bedeuten? Wo also lag
     jenes Land der Periöken? Viel weiter war ich mit meiner Suche nicht
     gekommen. Und doch: Es lag jenseits eines Ozeans, viele Tagesreisen
     entfernt von Griechenland. Welches Meer mochte dies sein? Meinte Xenophon
     die Griechenland gegenüberliegende Seite des Mittelmeeres, also
     vielleicht Spanien oder das Land der Mauren? Oder dachte er an jene
     Ozeane, welche das Abendland von Babylon, Indien oder gar vom legendären
     Cathay trennen, wenn es dieses Land tatsächlich gibt? Oder musste ich
     das Land nicht vielmehr in jenem Atlantischen Ozean vermuten, in dem auch
     Britannien liegt?
    Ich dachte an die Karte des
     Castorius, auf die ich kaum mehr als einen flüchtigen Blick geworfen
     hatte. Ich dachte daran, dass die unbekannten Mönche einem Reeder aus
     Lübeck, der die Meere des Nordens befuhr, ihre Befehle gegeben
     hatten.
    Wäre das Meer Richtung
     Indien gemeint gewesen, hätten sich die Dominikaner dann nicht eher
     an einen der Kaufleute aus Venedig oder Genua gewandt, deren Galeeren ja
     schon beinahe jene Weltgegend befuhren?
    Es war wahrscheinlicher, dass
     das Land der Periöken im Atlantik lag, nördlich oder gar
     jenseits von Britannien. Sonst hätte ein Mann wie Richard Helmstede,
     dessen Koggen doch jedes Jahr Britannien anliefen, sicherlich schon längst
     davon gehört — und ebenso sein Steuermann Gernot.
    Ich erbat mir von Magister
     Froissard, in dessen Gunst ich inzwischen sehr gestiegen war, ein Blatt
     Pergament, Feder und Tinte. Er war höflich genug, mir alles zu
     bringen, ohne mich zu fragen, wozu ich es benötigte. Dann kopierte
     ich rasch jene Sätze des Xenophon. Nachdem ich dies getan, die »Anabasis« zurückgegeben und dem
     Bibliothekar meinen Dank ausgesprochen hatte, schleppte ich mich müde
     ins Freie, hinaus auf die Place Maubert.
    Mein Rücken und meine
     Glieder schmerzten, in meinen Augen brannte Feuer, meine Kehle war
     trocken, doch ich beachtete diese Beschwerden kaum. Die Mühsal der
     Arbeit schließlich ist GOTTES Strafe für den Sündenfall
     von Adam und Eva. Doch süß ist die Arbeit, wenn sie Früchte
     trägt. Zum ersten Mal seit vielen Tagen glaubte ich, dass ich
     wenigstens eine Frucht des Wissens gekostet, dass ich wenigstens um eine
     Winzigkeit der Lösung des Rätsels näher gekommen war.
    *
    So beseelt war ich von diesem
     kleinen Triumph, dass es einige Momente dauerte, bis ich gewahrte, dass
     die Leute auf dem Platz noch sehr viel lauter durcheinanderschrieen als
     gewöhnlich. Ich war schon halb über die Place Maubert geeilt und
     hatte das steinerne Kreuz Croix Hemon passiert, als ich verstand, was die
     Menschen so erregte.
    »Die Seuche ist da!«,
     kreischte eine junge, gut gekleidete Bürgersfrau und achtete dabei
     nicht darauf, wie würdelos sie sich aufführte. »In La
     Villette fallen Männer und Frauen wie Getreide vor dem Schnitter«,
     rief ein Bauer. »Die Toten liegen in den Straßen, dass kein
     Durchkommen mehr ist.«
    »Und im Temple hauchen
     die Gefangenen ihr elendes Leben aus. Man sagt, dass nur noch Tote in dem
     Kerker liegen«, fiel ein Marktweib ein.
    So ging es in einem fort. Ein
     jeder schrie so laut wie er konnte und wusste immer noch schauerlichere
     Geschichten zu erzählen von Krankheit und Tod. Alle diese
     grauenhaften Dinge sollten sich jenseits der Stadtmauern zugetragen haben,
     mal im Westen, mal im Osten, dann wieder im Süden oder im Norden.
     Gesehen hatte es niemand, gehört hatte davon jeder. So wurden die
     Stimmen immer lauter, als wäre ein heftiger Streit entbrannt - obwohl
     doch keiner eine andere Meinung zu äußern wagte als die, dass
     der Tod nun vor den Toren reiche Ernte hielte.
    Statt demütig und
     ehrlich um Reue bemüht in die nächste Kirche zu streben und vor
     GOTT ihre Sünden zu bekennen, solange sie dies noch vermochten, brüllten
     und gestikulierten die Menschen wie tollwütige Tiere. Fast vermeinte
     ich, eine grimmige Befriedigung in ihren Stimmen zu hören, eine
     wahnsinnige Freude daran, dass die seit Wochen gefürchtete Seuche nun
     endlich in der Stadt angekommen war.
    Ich fürchtete mich mehr
     vor der ziellosen Wut der Menge als vor der Krankheit, denn kein Leiden,
     das uns der HERR schickt, kann so grausam und unberechenbar sein wie die
     einmal entflammte Leidenschaft der Menschen. Also schlug ich meine Kapuze
     hoch und wollte weitereilen, da spürte ich, wie mich

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