In Nomine Mortis
zusammengeführt. Ein düsteres
Schicksal, fürwahr.«
Die Furcht war mein ständiger
Begleiter geworden, seit ich in Paris war und den Körper des toten Mönches
gesehen hatte. Doch zum ersten Mal verblasste nun die Furcht vor einer
anderen, noch heißeren Leidenschaft: dem Zorn.
Zorn auf Meister Philippe,
der den Vater der jungen Jüdin in den Kerker geworfen und ihr Heim
zur Plünderung freigegeben hatte. Zorn ist allerdings kein guter
Ratgeber. Und Zorn auf einen Inquisitor ist nicht nur eine Sünde und
Widersetzlichkeit gegen die Gebote der Mutter Kirche, er ist auch
lebensgefährlich.
Also löschte ich die heiße
Wut, die in meiner Seele kochte, und zwang mich, mit kühlem Kopfe
nachzudenken.
»Ich fürchte das
Schlimmste«, flüsterte Lea. »Seht Euch doch nur die Menge
an, wie die Menschen schreien und zittern. Sie fürchten sich vor der
Krankheit und sie wollen Blut sehen. Unser Blut, das Blut der Juden!«
»Was redet Ihr da?«,
tadelte ich sie.
Sie lachte bitter auf.
»Kennt Ihr wahrhaftig nicht die Gerüchte, Bruder Ranulf? Habt
Ihr Euch in den letzten Wochen im Kloster verkrochen? Habt Ihr Eure Ohren
verschlossen und Eure Augen zugehalten? Ihr seid doch, wie ich weiß,
durch Paris gegangen, wie kaum ein Mönch es je getan hat.
Habt Ihr nicht gesehen, gegen
wen sich der Zorn der Menge richtet? ›Brunnenvergifter‹
schimpfen sie uns Juden nun. Wir hätten aus Hass auf die Christen in
alle Wasserquellen Gift geträufelt. Als ob nicht wir Juden genauso an
der Krankheit sterben wie die Christen!«
»Papst Clemens VI. hat
verboten, dass den Juden ein Leid angetan wird«, erwiderte ich.
»Seine Heiligkeit hat eine Bulle erlassen, ich habe sie gehört,
als sie im Kapitelsaal unseres Klosters verlesen wurde, wie sie in jeder
Kirche und in jedem Kloster der Christenheit verlesen wurde: Der Papst
nennt einen jeden Mann, der die Anklage der Brunnenvergiftung erhebt, verführt
von jenem größten Lügner überhaupt, dem Teufel.«
Für einen Moment
zeichnete sich nun auch Zorn auf Leas schönem Gesicht ab, doch dann
bedachte sie mich mit einem langen, freundlichen und mitleidigen Blick,
der meinem Herzen einen Stich gab.
»Oh, Bruder Ranulf«,
flüsterte sie, »Ihr seid Inquisitor und glaubt doch an das Gute
im Menschen. Aber die Menschen sind nicht gut. Wer kümmert sich noch
um den Papst, da die Krankheit in Frankreich so reiche Ernte einfährt?
Habt Ihr es nicht gehört?
In Narbonne und Carcassonne haben sie schon Juden aus den Häusern
gezerrt und auf den Scheiterhaufen geworfen — als Brunnenvergifter!
Gerettet hat es diese Städte nicht, doch gelernt hat daraus niemand.
Sie werden uns auch hier verbrennen wollen! Und meinen Vater haben sie
schon geholt!«
»Doch der Inquisitor
ist nicht wegen der lügnerischen Anklage der Brunnenvergiftung zu
Euch gekommen«, erwiderte ich düster. »Ich mag kein
Menschenkenner sein, doch so gut kenne ich Meister Philippe denn schon,
dass ich weiß, dass er derartigen Verleumdungen keinen Glauben
schenkt. Er ist gekommen, weil er die Bücher Eures Vaters in seine
Gewalt bringen wollte.«
Fieberhaft dachte ich nach.
Dominikaner — meine Mitbrüder! — fälschten oder
verstümmelten Bücher über die Beschaffenheit der Welt oder
ließen sie gar ganz verschwinden. Deshalb, so vermutete ich, wollten
sie auch um jeden Preis die Bibliothek des Nechenja ben Isaak mit ihrer in
gelehrten Kreisen gerühmten Sammlung geografischer Werke in ihre Hand
bringen.
Doch was verband den jüdischen
Geldwechsler mit dem Lübecker Kaufmann Richard Helmstede? Oder war
dies bloßer Zufall? Welche Rolle hatte Heinrich von Lübeck in
diesem tödlichen Spiel inne gehabt? Und was hatte Meister Philippe
mit all dem zu schaffen? Ich erinnerte mich des Schicksals des Vaganten
und erschauderte bei dem Gedanken daran, dass der Geldwechsler nun ebenso
auf der Streckbank schmachten mochte wie der unglückselige
Messerwerfer. Noch fürchterlicher war mir der Gedanke, dass auch Lea
so enden mochte, wie ich Pierre de Grande-Rue hatte sterben sehen. So
verwirrt mein Geist auch war, keinen Augenblick zweifelte ich daran, dass
ich Lea beistehen musste.
Sie war eine flüchtige Jüdin,
Tochter eines von der Inquisition verhafteten Mannes. Schon die Tatsache,
dass ich hier mit ihr stand und ihr Mut zusprach, statt sie auf der Stelle
verhaften zu lassen, war ein derart
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