In Nomine Mortis
jemand am Ärmel
festhielt. Es war Lea bas Nechenja, die Tochter des Geldwechslers. Ich hätte
sie auch diesmal nicht erkannt, denn sie trug ein schlichtes Kleid ohne
gelbe Judenmarke und ein Schleier umhüllte ihr Haupt und verbarg ihr
Gesicht. Ihre Stimme jedoch überzeugte mich, dass sie es tatsächlich
war, die vor mir stand. »Helft mir, Bruder Ranulf!«, flüsterte
sie.
Ihr Griff war so fest, ihre
Stimme klang so fordernd und doch zugleich so erbarmungswürdig, dass
ich alle meine Bedenken sofort fallen ließ und mich an ihrer Seite
durch die wütende Menge schob. Wir strebten zum Ufer der Seine, wo
das Volk in weniger großer Zahl zusammengelaufen war und wir deshalb
meinten, dass uns dort niemand zufällig belauschen könnte.
»Mein Vater schmachtet
im Kerker der Inquisition«, stieß die junge Jüdin hier
endlich hervor. »Und unser Haus ist von Euch Mönchen geplündert
worden!«
Ich schlug das Kreuz und
schloss für einen Moment die Augen. »HERR«, flüsterte
ich, »wohin führt nur unser Weg?« Dann ermannte ich mich,
ruhig und besonnen zu sein, da dies umso notwendiger war, weil
offensichtlich niemand sonst mehr bei Sinnen zu sein schien.
»Was ist geschehen?«,
fragte ich.
Müdigkeit und Angst
zeichneten die schönen Züge der jungen Frau. »Euer Meister
selbst führte an diesem Morgen wohl ein Dutzend Sergeanten und noch
einmal so viele Mönche zu unserem Haus. Es war wie ein Überfall
von Landsknechten.«
»Philippe de Touloubre?«,
wiederholte ich ungläubig. »Der Inquisitor höchstselbst.
Die Sergeanten, die ihn begleiteten, machten sich nicht einmal die Mühe,
an unsere Tür zu klopfen und Einlass zu begehren. Sie schlugen uns
stattdessen die Pforte ein und stürmten das Haus, meinen Vater
zerrten sie weg!«
»Was wollten sie von
ihm? Was warfen sie ihm vor?« Lea schüttelte den Kopf. »Das
weiß ich nicht. Doch ich habe auch nicht alles mit anhören können
- und gesehen habe ich noch weniger, denn ich befand mich zu jener frühen
Stunde, da uns der Inquisitor heimsuchte, zufällig in der
Dachbodenkammer. Als ich gewahrte, was geschah, da verbarg ich mich unter
einem Haufen alter Wolltücher, die wir auf dem Speicher aufbewahrten.
Ich hörte wohl, wie mein Vater laut um Gnade flehte und ihn
Sergeanten mit groben Beleidigungen bedachten, bevor sie ihn abführten.
Doch was man ihm vorwarf, das weiß ich nicht. Als mein Vater
fortgeschafft worden war, jagten die Sergeanten die Diener aus dem Haus.
Diese flohen furchtsam und waren froh, dass man sie nicht auch in den
Kerker zerrte.
So plünderten die
Sergeanten unseren Besitz, kaum dass der letzte Diener mit Tritten und
Hohnworten aus dem Haus gejagt worden war. Da sie die Dinge auf dem
Speicher jedoch nur gering achteten, suchten sie dort nicht gründlich.
Deshalb blieb ich unentdeckt.
Alle Räume plünderten
die Männer, nur einen nicht: die Bibliothek. Der Inquisitor persönlich
betrat sie und alle Mönche folgten ihm. Kein Sergeant durfte den Raum
betreten.
Später wagte ich mich
unter den Stoffen hervor und spähte vorsichtig aus einer Dachluke
hinaus. Da sah ich, wie die Mönche Kisten auf einen Ochsenkarren
luden, der vor unserem Haus stand. Was in diesen Kisten war, das vermochte
ich nicht zu sagen. Doch es müssen Bücher gewesen sein, Hunderte
Bücher, vielleicht gar die ganze Bibliothek meines Vaters.«
Lea atmete schwer und blieb
stehen. Sie sah erschöpft aus. Ich hätte ihr gerne Wasser und
Brot angeboten, doch führte ich nichts dergleichen mit.
Als sie meinen besorgten
Blick sah, lächelte sie leicht und hob abwehrend die Hand. »Macht
Euch keine Sorge um mich, Bruder Ranulf, ich bitte Euch. Ich harrte bis
zum späten Nachmittag auf dem Dachboden aus, dann hatten Mönche
und Sergeanten unser Haus leer geplündert. Ich entwich aus dem
Hintereingang. Seither suche ich Euch. Ich wusste ja nicht, wo Ihr sein möget,
doch schöpfte ich immerhin ein wenig Hoffnung, da ich Euch nicht
unter den Mönchen sah, die der Inquisitor mit sich geführt
hatte. Also ging ich zum Kloster in der Rue Saint-Jacques und harrte dort
eine Weile vergebens aus. Dann schlich ich mich zum Kollegium de Sorbon,
weil Ihr mir sagtet, dass Ihr dort die Werke der Geografen studieren
wollt. Dort führte uns das Schicksal zusammen.«
»Ja«, murmelte
ich, »das Schicksal hat uns
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