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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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längere Zeit an dem Kai am Ufer der Seine. Es war außerordentlich,
     dass eine Kogge aus Lübeck bis nach Paris segelte. Noch ungewöhnlicher
     war, dass ihr Kapitän offenbar nicht einmal ahnte, warum er dorthin
     gefahren war. Heinrich von Lübeck musste Richard Helmstede irgendwie
     überzeugt — oder ihn dazu gezwungen — haben, Paris
     anzusteuern, obwohl nicht einmal er wusste, wozu. Wusste ich mehr als der
     Kapitän?
    Es war nun nicht mehr schwer
     zu erraten, dass die »Kreuz der Trave« wohl jenes Land der
     Periöken ansteuern sollte. Die Karte des Castorius, endlich geborgen
     aus dem Versteck des Vaganten, die ein namenloser Mönch dem Reeder
     überreicht hatte: Was konnte sie anderes sein als die Karte, nach der
     Richard Helmstede den Kurs seines Schiffes richten sollte?
    War Heinrich von Lübeck
     in der Nacht seines Todes mit jenem Werk auf dem Weg zu Richard Helmstede
     gewesen? Das Haus, das der Reeder gemietet hatte, lag einen langen Fußmarsch
     von Notre-Dame entfernt; die Kogge hingegen war nur einige Dutzend
     Schritte weiter festgemacht. Wurde der Mönch ermordet, um jene Karte
     nicht in die Hände des Reeders gelangen zu lassen? Doch wer sollte
     dies tun? Und weshalb? Vollendeten die Mitbrüder nun, was Heinrich
     von Lübeck begonnen hatte? Doch wozu? Weshalb hätte Meister
     Philippe mir gegenüber von alldem geschwiegen?
    Weil dieses Werk oder die
     Fahrt der Kogge irgendetwas mit jenen Fälschungen zu tun hatte, auf
     deren Spur ich in der Bibliothek des Kollegium de Sorbon gekommen war
     — jenen stillen, sorgfältigen, unheimlichen Tilgungen hier und
     in vielleicht allen Bibliotheken der Christenheit?
    War es vielleicht so, dass
     seit vielen Monaten Bücher allerorten geändert wurden —
     seit Heinrich von Lübeck sein Wissen um die terra perioeci den Mitbrüdern offenbart
     hatte? War es möglich, dass Paris das Zentrum jener weit verzweigten
     Verschwörung war? Falls dem so war: War es denkbar, dass die Mönche
     ihr Tun sogar dem Heiligen Vater in Avignon verschwiegen hatten? Wurde
     selbst der Papst von ihnen getäuscht?
    Diese und noch viele andere
     Fragen vermochte ich nicht zu lösen, obgleich ich doch Stunde um
     Stunde in der Zelle saß und grübelte. Warum etwa war Heinrich
     von Lübeck kurz vor seiner Ermordung zum jüdischen Geldwechsler
     Nechenja ben Isaak gegangen? Warum begehrte er, ausgerechnet dort das kaum
     bekannte Werk »Liber floribus« des Lambert von Saint-Omer zu
     sehen? Ja, wenn ich Leas Worten Glauben schenken durfte, warum wollte er
     es gar in seinen Besitz bringen, zumindest aber kopieren? Auch dieses Buch
     nannte das Land der Periöken - hatte Heinrich von Lübecks Wunsch
     damit zu tun? Im Mittelpunkt all meiner Fragen stand jedoch Philippe de
     Touloubre: Welche Rolle spielte der Inquisitor in dem finsteren Spiel? Was
     wusste er von Heinrich von Lübeck, von terra perioeci , vom rätselhaften Auftrag des
     Lübecker Reeders? Was hatten die nächtlichen Versammlungen im
     Kloster, an denen Meister Philippe teilnahm, mit alldem zu schaffen? War
     Philippe de Touloubre vielleicht noch immer auf der Spur des Mörders?
     Wollte er die Schleier vor allen Geheimnissen zerreißen? Oder war er
     doch tief verstrickt in jene Geheimnisse — und suchte nun nach
     Wegen, sie auch weiterhin zu schützen? Tagelang zermarterte ich mir
     den Geist und war mir selbst mein eigener Folterknecht. Qualen litt ich,
     ohne dass dabei ein Tropfen Blut geflossen wäre. Ich wäre wohl
     dem Wahnsinn verfallen, hätte ich mich noch länger an diesen Rätseln
     versucht. Doch meine Rettung kam - ausgerechnet in Gestalt des
     Folterknechtes, der eines Tages im flackernden, rötlichen Schein
     einer Fackel die Pforte öffnete.
    »Mitkommen«,
     befahl er mir. »Wohin?«, wagte ich zu fragen.
    Da glomm ein tückisches
     Leuchten in seinen Augen auf. »Zur Streckbank«, antwortete er.
    *
    »Singt ein Ave Maria,
     Bruder Ranulf«, flüsterte mir der Folterknecht höhnisch
     zu, als ich mich mühsam aufrichtete und versuchte, mir das faulige
     Stroh aus der Kutte zu streichen. »Heute ist der Tag der Himmelfahrt
     der Mutter GOTTES.«
    »Mariae Himmelfahrt?«,
     fragte ich entsetzt. So lange hatte ich schon im Kerker geschmachtet!
    Dies war der Tag, an dem die
     »Kreuz der Trave« Paris verlassen sollte. Sollte ich GOTT
     lobpreisen, da Klara an diesem Tag jenem Unglücksort entkommen würde?
     Oder sollte mich Trauer übermannen, da ich sie nun nie wiedersehen

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