In Nomine Mortis
Heinrich von Lübeck
gezeigt hatten. Die beiden anderen kannte ich nicht.
Sie achteten meiner auch
nicht weiter, sondern stürzten sich auf Lea, die sie an Armen und
Haaren packten. »Du Jüdin!«, schrie einer der beiden.
Da überkam mich ein
Zorn, der entweder heilig war oder des Satans, auf jeden Fall war er
unbezwinglich.
Ich schrie auf, so laut ich
konnte. Da erschreckten sich die beiden Sergeanten, die mich gepackt
hatten, und lockerten unwillentlich den Griff ihrer Fäuste.
Ich nutzte diesen Moment der
Furcht, entwand mich ihnen und sprang zu dem keuchenden, blutüberströmten
Bettler. Mit einem Ruck riss ich dem Sterbenden einen seiner vor Blut und
Eiter triefenden Lumpen vom Leib und schleuderte diesen schauderhaften
Fetzen den beiden Sergeanten am Brunnen vor die Füße. Die hoben
entsetzt die Hände und sprangen zurück. Das war genau das, was
ich erhofft hatte.
»Lauf!«, schrie
ich Lea aus Leibeskräften zu, um das Gebrüll der furchtsamen
Menge zu übertönen. »Lauf um dein Leben!« Einen
Moment lang zögerte Lea - dann wandte sie sich ab und stürzte in
die Seitengasse, die ich noch ein paar Augenblicke zuvor selbst betreten
wollte. Die beiden Sergeanten, die sie festhalten sollten, erholten sich
von ihrem Schrecken und rannten ihr nach. Ob Lea ihnen entkommen konnte
oder ob sie von ihren Häschern eingeholt wurde, das vermochte ich
nicht mehr zu sehen, denn die beiden anderen Bewaffneten waren mit einem
Sprung wieder bei mir. Einer schlug mir mit dem eisenbeschlagenen Stil
seiner Hellebarde über den Kopf, dass mir schwarz wurde vor Augen und
ich stöhnend niedersank aufs Pflaster.
»Ein Kranker, ein
weiterer Kranker!«, hörte ich wie aus großer Ferne
jemanden schreien.
Doch dann, viel näher an
meinem Ohr, vernahm ich die Stimme des dickeren der beiden Sergeanten, der
sich zu mir niedergebeugt hatte und mir einen weiteren Stoß
versetzte.
»Du entwischt uns
nicht, Bruder Ketzer!«, rief er fluchend und trat mir gegen die
Rippen, dass ich mich im Dreck wälzte und um Atem rang.
»Was wollt ihr von mir?«,
keuchte ich.
»Wir befolgen nur
Befehle«, mischte sich da der andere Sergeant ein und gebot seinem
Kameraden Einhalt, bevor der mich wieder treten konnte wie einen räudigen
Hund. »Wir bringen dich zum Inquisitor«, sagte er.
»Du weißt schon,
wohin«, fiel ihm der Dickere ins Wort und feixte. »Nach
Saint-Martin-des-Champs.«
16
DIE VISION DES INQUISITORS
Die Sergeanten schleppten
mich in den Kerker der Inquisition. Ich wehrte mich nicht, sondern ließ
mich abführen, als hätte ich keinen Willen mehr. Da jedermann
vor dem sterbenden Bettler geflohen war, zerrten mich die beiden
Bewaffneten durch die verlassene Rue Darnetal. Die Menschen, die wir auf
unserem weiteren Weg trafen, achteten kaum auf uns. Zu groß war die
Furcht vor der Seuche, als dass sich jemand um zwei Sergeanten und einen Mönch
bekümmert hätte. Die erste Folter, welche ich in
Saint-Martin-des-Champs zu spüren bekam, war die Qual der
Ungewissheit. Denn mit einem heftigen Stoß landete ich in einer der
Zellen in jenem unterirdischen Verlies, das ich erst kurz zuvor als
Protokollant des Inquisitors betreten hatte.
Dort blieb ich. Stundenlang.
Tagelang.
Ich lag auf fauligem Stroh.
Wanzen saugten mir das Blut aus den Adern. Ab und an öffnete eine
Hand die Klappe in der winzigen Kerkerpforte und schob mir etwas hartes
Brot und einen Krug schalen Wassers hin. Beides schlang ich sofort in mich
hinein, denn beim ersten Mal, da ich zu erschöpft gewesen und zuvor
eingeschlafen war, stellte ich nach dem Erwachen fest, dass Ratten, groß
wie kleine Katzen, meine erbärmliche Mahlzeit gefressen hatten.
Manchmal fiel der Schimmer einer Kerze oder Fackel durch den Spalt unter
der Kerkertür hinein in meine Zelle, die meiste Zeit jedoch blieb es
finster wie in einem Grab. Auch vernahm ich nichts: keine Stimme, keine
Schritte, nicht das geringste Geräusch. Ich war allein mit meinen
Gedanken.
Meine Sorgen galten Lea und
Klara. Ob der jungen Jüdin die Flucht geglückt war? War nicht
auch die Gattin des Reeders in Gefahr? Denn offensichtlich hatten uns die
Sergeanten ja beim Haus des Wollhändlers aufgelauert, also wusste die
Inquisition von unserer sündigen Verstrickung dort. Doch was konnte
ich noch tun? Nichts, rein gar nichts.
Ich konnte nicht nach Lea
suchen. Ich konnte Klara
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