In Nomine Mortis
dass du durch Paris gehst und bei
Juden einkehrst? Armut, Keuschheit und Gehorsam hast du einst geschworen.
Arm bist du, oh ja. Über die Keuschheit wollen wir schweigen. Gefährlich
ist jedoch, dass du auch den Gehorsam vergessen hast. Wenn nicht einmal
mehr Mönche den Gehorsam der Kirche gegenüber leisten, wer
sollte es dann noch tun?
Überall ist die
Christenheit bedroht: An den Grenzen schwingen die Ungläubigen das
Schwert, im eigenen Land erheben die Ketzer ihr Haupt, während die Männer
GOTTES, Mönche wie Ritter, ihre Pflichten vergessen. Allein wir, die DOMINI canes, schützen noch die Herde der
Rechtgläubigen vor den reißenden Wölfen. Nun befand sich
auf einmal der größte Schatz der Christenheit in unserer Hand.
Wir wussten sofort, dass GOTT ihn uns überlassen hatte, um SEINE
Kirche zu schützen. Doch wie hätten wir dies tun sollen? Oh,
Bruder Ranulf, ich kann dir nicht schildern, wie lange und quälend
unsere nächtlichen Zusammenkünfte waren, da ein jeder von uns
eine andere Idee hatte. Sollten wir zum Kreuzzug rufen und allen Rittern
Geld aus dem Schatz dafür geben? Doch hätten die Landsknechte
uns nicht einfach das Geld geraubt und wären von hinnen gezogen,
lachend über die edelmütigen Ideen einiger Mönche? Hätten
wir mit Geld einen einzigen Ketzer von seinen Irrlehren abbringen können?
Oder einen der neuen Männer des Wissens von seiner zerstörerischen
Neugier? Sieh dich doch an, Bruder Ranulf: Du bist gefährlich, allein
das Gold reizt dich nicht. Deine größte Gier ist die Neugier,
doch weltliche Reichtümer lassen dich kalt. Was also tun mit unserem
Schatz?
Doch der HERR, der uns jenes
Gold gesandt hatte, erbarmte sich unser, als ER sah, dass wir auch nach
mehreren Jahren weder aus noch ein wussten.
Eines Tages klopfte Heinrich
von Lübeck an die Pforte des Klosters von Saint-Jacques. Ein
aufrechter Dominikaner, der den langen Weg von Deutschland bis nach Paris
gegangen war, da ihn sein Wissen quälte.
Du ahnst es: Der sterbende
Kapitän der ›Kreuz der Trave‹ hatte ihm von der terra perioeci erzählt. Bruder Heinrich war
ein älterer Mönch, doch in seiner noch jugendlichen Neugier
glich er dir. Was verbarg sich, so fragte er sich in einem fort, hinter
jenem geheimnisvollen Land der Periöken? Da er keine Antwort darauf
finden konnte, kam er zu uns, denn Paris ist das Zentrum der
Gelehrsamkeit. GOTT lenkte seine Schritte — denn dieser Bruder, der
nicht in unser Geheimnis eingeweiht war, gab uns endlich den Schlüssel
in die Hand, der uns die Tür aus unserem Gefängnis öffnete.
Ich erkannte es sofort: Ein Land jenseits des Ozeans, den Christen
unbekannt, den Ketzern, den Sarazenen! Es war, ich gestehe es ohne falsche
Scham, eine Offenbarung des HERRN! Plötzlich sah ich alles vor meinem
geistigen Auge, so klar, als würde es schon geben, was ich mir noch
erträumte.
Heinrich von Lübeck
hatte uns Kunde von jenem Land gebracht. Wir hatten den Schatz der
Templer. Also dachte ich, dass wir beides zusammenbringen müssten.
Wir sollten all das Gold und Silber in jenes Land der Periöken
schaffen. Dazu ausgesuchte, glaubensstarke, verschwiegene Christen.
Was könnten sie dort,
reich und ungestört von Sarazenen, Ketzern, Zweiflern, alles
erschaffen! Sie könnten dort siedeln und Kirchen und Städte und
Burgen errichten, ohne je Gefahr laufen zu müssen, überfallen zu
werden. Sie könnten ihren Glauben rein halten ohne Anfechtung von außen
oder von innen. Denn die Inquisitoren würden sie regieren und leiten
in allen Dingen. Sie könnten Waffen schmieden und Schiffe bauen
…
Ein Neues Jerusalem am
jenseitigen Ufer des Atlantiks, das stand vor meinem geistigen Auge:
strahlend, machtvoll, rein! Und dereinst, nach vielen Jahren, würden
die Glaubensstreiter von dort zurückkehren über den Ozean und
unser sündiges Abendland mit Feuer und Schwert und dem Eifer ihrer
Religion reinigen. Sie würden weiterfahren nach Jerusalem und die
heiligen Stätten erobern, auf dass nie wieder ein Ungläubiger es
wage, Hand auf sie zu legen!
Ja, dies alles wurde mir in
einem einzigen Augenblick in die Seele gebrannt. Ich sprach mit
Engelszungen und überzeugte meine Mitbrüder, nachdem wir uns so
viele Jahre uneins waren, in einer einzigen Nacht von jenem Plan. Es war
ein Wunder.«
Ich wusste nicht, ob ich die
Vision des Inquisitors bestaunen oder fürchten
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