In Nomine Mortis
Kollegium de Sorbon und auch noch andernorts.
Manchmal bedauere ich dies, doch weiß ich, dass es notwenig war. Das
Geheimnis um die terra perioeci rechtfertigt
jeden Preis. Jeden.«
»Auch ein
Menschenleben.«
»Auch dies.«
Meister Philippe schloss die
Augen, seine Züge zeigten Trauer, ja Schmerz. »Heinrich von Lübeck«,
fuhr er schließlich fort und senkte dabei die Stimme so weit, dass
auch ich ihn nun kaum noch verstehen konnte, »begrüßte
freudig unser Ziel und war voller Ehrgeiz. Doch als er erfuhr, dass wir
die Bücher verändern mussten, da protestierte er.«
Der Inquisitor lächelte
kurz. »Da glich er dir: Auch Heinrich von Lübeck hatte vom süßen
Wein des Wissens gekostet und kam nun nicht mehr los davon. Er glaubte,
dass es eine unentschuldbare Sünde sei, die Bücher zu nehmen
oder Sätze aus ihnen zu tilgen. Immer heftiger wurde sein Protest,
immer lauter erhob er seine Stimme. Er drohte, zum Bischof von Paris zu
gehen. Er drohte uns sogar mit dem Heiligen Vater.
Wir flehten ihn an, doch zu
bedenken, wie herrlich und offensichtlich GOTT gefällig unser
Unternehmen ist. Wir beschworen ihn, niemandem etwas von unseren Plänen
zu verraten, nun, da er ein Eingeweihter sei. Eindringlich machten wir ihm
deutlich, in welche Verwirrung sich die Christenheit stürzen würde,
wüsste sie um den Schatz der Templer und um die terra perioeci.
Vergebens. Nicht nur, dass
Heinrich von Lübeck von all unseren guten Worten nichts hören
wollte. Nein, wir kamen ihm auf die Schliche, dass er seinerseits heimlich
damit begann, Werke der Geografie an sich zu nehmen. Dazu stahl er sogar
Geld aus den Schatzkisten der Templer! Er wollte all die Bücher
kaufen, kopieren, notfalls stehlen, die wir doch verschwinden lassen
mussten. Schließlich ging er zum Juden Nechenja ben Isaak …«
»Wusstet Ihr, dass der
Geldwechsler eine große Bibliothek besitzt?«, fragte ich, da
der Inquisitor nicht weitersprach. »Ja«, gestand er mir.
»Wir glaubten, dass wir viel Zeit hätten, sie an uns zu
bringen. Kein Christ, so dachten wir, würde bei einem Juden Bücher
lesen wollen und wie sollte uns ein Geldwechsler schon gefährlich
werden können?
Doch an jenem Abend entdeckte
ich, dass unter den Büchern, die wir bereits an uns gebracht hatten,
das Werk des Castorius fehlte. Auch waren wieder Münzen verschwunden.
Und dann berichtete uns ein Spitzel, dass ein Mönch das Haus des
Nechenja ben Isaak betreten habe. Ein Dominikaner.«
Philippe de Touloubre schloss
die Augen und betete ein PATER noster. Ich
schwieg.
»Heute weiß ich,
dass Heinrich von Lübeck beim Juden den ›Liber floribus‹ des ketzerischen Chorherren
Lambert von Saint-Omer kopieren wollte. Doch was genau er in dieser Nacht
vorhatte und wozu er das Werk des Castorius und die gestohlenen Münzen
bei sich trug, war uns allen ein Rätsel.
Wir berieten darüber in
jener schrecklichen Nacht, doch bis heute haben wir keine Antwort darauf
gefunden.
Wir wussten nicht, was
Heinrich von Lübeck als Nächstes unternehmen würde. Eine
Befürchtung allerdings hatten wir: dass er mit dem Castorius und der
Kopie und den Münzen zum Bischof gehen würde. Die beiden Werke
mochten genügen, dem Bischof die Existenz von der terra perioeci zu beweisen, und das Geld würde
den Bischof in seiner Gier antreiben, uns unverzüglich mit einem
Haufen Bewaffneter zu stellen.
Hätten wir dieses Risiko
eingehen dürfen? Hätten wir den Traum vom Neuen Jerusalem in
jener Nacht opfern sollen? Nicht einmal die Flucht wäre uns
geblieben, denn mit all dem Gold und Silber wären wir zu langsam
gewesen.
Wir mussten also sofort etwas
unternehmen, noch in jener Nacht. Noch bevor Heinrich von Lübeck das
Haus des Nechenja ben Isaak wieder verlassen hatte, mussten wir unsere
Entscheidung getroffen haben.«
»Und Ihr habt Euch für
den Tod entschieden«, flüsterte ich fassungslos. »Ihr
opfertet tatsächlich einen Mönch, einen Mitbruder, einen Mann
GOTTES.«
Ich schluckte. Nun war es an
mir, ein Gebet zu sprechen. Ich gedachte des toten Heinrich von Lübeck,
den ich im Leben nie kennen gelernt hatte.
»Wart Ihr es, Meister
Philippe, der in jener Nacht den Befehl gab, den Mitbruder zu erstechen?«,
fragte ich schließlich. Im Geheimen hoffte, ja flehte ich, dass
wenigstens dies nicht so war; dass jemand anderes diese schreckliche Tat
angeordnet hatte; dass
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