In Nomine Mortis
Meister Philippe einen solchen Befehl niemals hätte
geben können. Doch der Inquisitor starrte mich nur wortlos an und
schwieg. Und da verstand ich alles. Ich erinnerte mich plötzlich der
Tintenflecke, die ich an jenem allerersten Tag, da ich dem Inquisitor im
Kloster vorgestellt worden war, auf seiner linken Hand gesehen hatte.
Seiner Schreibhand.
»Ihr seid Linkshänder!«,
flüsterte ich. »Tag für Tag habe ich Euch gesehen - und
doch ist es mir nie aufgefallen.«
Trauer und Scham übermannten
mich und ich weinte, wie ich in meinem Leben noch nie und niemals wieder
geweint habe seither. »Ja«, gestand der Inquisitor schließlich.
Seine Stimme war kalt, doch hörte ich, wie schwer es ihm fiel, ein
Zittern zu unterdrücken. »Ja, ich selbst habe Heinrich von Lübeck
mit einem Dolch niedergestreckt. Doch kaum hatte ich die grausige Tat
ausgeführt, da hörte ich Schritte. Es war, wie ich nun weiß,
der Vagant Pierre de Grande-Rue, der sich, trunken und wollüstig, der
Kathedrale Notre-Dame näherte. Ich floh.
Konnte ich denn ahnen, dass
jener unglückselige Mönch noch nicht tot war, nachdem ich ihn
getroffen hatte? Er war zu Boden gesunken und hatte sich nicht mehr gerührt,
doch er muss noch einmal das Bewusstsein wiedererlangt haben; vielleicht
durch die rüden Griffe des Vaganten, der ihn ausplündern wollte
und dann seinerseits vor Jacquette und dem Domherrn entfloh.
So ist jedenfalls noch einmal
der Geist in Heinrich von Lübeck gefahren und er hat jenen Namen
geschrieben, den wir doch um jeden Preis aus dem Gedächtnis der
Christenheit tilgen wollten: terra perioeci.
Er wusste genau: Hätte
er meinen Namen geschrieben, hätte er geschrieben, dass ich der Mörder
bin, niemand hätte dies je geglaubt. Ich bin der oberste Inquisitor
von Paris! Vielmehr hätte man gedacht, dass Heinrich von Lübeck
mich auf diese Weise aufgefordert hätte, ihn zu rächen.
So aber schrieb er den Namen
jenes verbotenen Landes, wohl in der Hoffnung, dass jemand seine blutigen
Worte lesen würde, der neugierig sei. So neugierig, dass er sich auf
die Suche nach dem Land der Periöken begeben würde und darüber
erführe, welche Pläne uns bewegten.
Und ich, der ich am nächsten
Morgen gerufen wurde, wusste davon nichts. Welch ein Schrecken durchfuhr
mich, da ich schließlich die Blutschrift las!
Und dann gab es dafür
auch noch einen Zeugen: dich. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass mich
ein Mitbruder zum Ort der Tat begleiten würde. Doch der Prior, der
vom Schatz der Templer so wenig weiß wie vom Land der Periöken
und der nicht einmal ahnt, dass sich verschwiegene Männer regelmäßig
in seinem Kloster zu nächtlichen Versammlungen treffen, dieser
heilige Narr verfügte es so, weil du ein Landsmann des Toten warst
und er sich davon irgendwie eine Hilfe zur Aufklärung des Rätsels
erhoffte.
Wie hätte ich die
Anweisung des ehrwürdigen Vaters ablehnen können? Das wäre
verdächtig erschienen. Zudem glaubte ich in jenem Moment nicht, dass
du mir gefährlich sein würdest. Und so hatte ich jemanden
mitgenommen, der genau so war, wie Heinrich von Lübeck es sich im
Todeskampf erhofft hatte: jemanden, dem Wissen über alles geht.
Und als du erst einmal die
blutigen Worte gelesen hattest, da konnte ich dich nicht mehr aus meinen
Diensten entlassen, denn ich befürchtete, dass du, ohne meine
Kontrolle, zu unbefugten Ohren davon reden und unwissentlich
irgendjemanden auf meine Spur führen würdest. Denn Spuren gab es
ja genug.
Noch in der Nacht des Mordes
war ich in die Bibliothek des Kollegiums de Sorbon geeilt und hatte jeden
Hinweis auf das Land der Periöken im ›Liber floribus‹ getilgt — dafür nutzte
ich den Namen des Heinrich von Lübeck. Ich jagte den Vaganten zu
Tode. Ich opferte die elende Schönfrau und den wollüstigen
Domherrn. Große Sünden beging ich, fürwahr. Eines Tages
werde ich mich dafür vor einem Richter verantworten, der in mein Herz
sieht. Doch fürchte ich mich nicht, denn mein Herz ist rein. Ich tat,
was ich tun musste, um das Neue Jerusalem zu beschützen; um die
Kirche zu beschützen; um die Christenheit zu beschützen; um das
Reich GOTTES zu begründen!«
Meine Tränen waren längst
versiegt. Ich fühlte mich unendlich müde und leer. »HERR,
lass mich sterben!«, flehte ich leise. »Nimm mich zu DIR. DEIN
Reich will
Weitere Kostenlose Bücher